Kinostarts Juli 2009
Und wieder mal kommt ein Film in die Kinos, dessen deutscher Titel nicht gerade vom Hocker reißt. Gut, eine wörtliche Übersetzung des Originaltitels ist auch nicht der Bringer, doch „Der Code hat sich geändert“ geht eben etwas tiefer und spielt mit dessen Bedeutung. Regisseurin Danièle Thompson (Jet Lag - oder wo die Liebe hinfliegt) hat sich dabei ja schließlich etwas gedacht.
Ein Dinner im Freundeskreis. Man macht sich schick, lacht, erzählt sich Anekdoten, gibt an, teilt Erinnerungen und Pläne. Ängste werden mit Witzen überspielt. Kummer und Schmerz gehen in Lachsalven unter. Und für ein paar Stunden macht man sich vor, dazu zu gehören. Wenn man die richtigen Gesellschaftscodes kennt, die anderen Gäste, ihre Herzlichkeit, Scheinheiligkeit und gute Laune respektiert, stehen die Chancen gar nicht schlecht, daß es ein netter Abend wird. Allerdings nur bis zum Heimweg, denn dann fallen die Masken schnell...
Der 21. Juni, Fête de la Musique und Frühlingsanfang in Paris, seidige Luft mit einer Prise Erotik, Sehnsucht und Sex. Eine gute Gelegenheit, die Freunde einzuladen für einen netten Abend. ML und Piotr bereiten das festliche Dinner vor: Einkaufen, Tisch decken, Blumendekoration, die Scheidungsanwältin und ihr Mann, der gerade seinen Job verloren hat, sind nervös. Alles soll perfekt sein. Nach und nach trudeln die Gäste ein, Küsschen hier, Küsschen da - Lucas, Anwalt und zukünftiger Geschäftspartner von ML und seine gelangweilte Frau Sarah, die sich auf der Hinfahrt noch heftig zanken, MLs Schwester Juliette mit ihrem Freund Erwann im Schlepptau, Krebsarzt Alain und seine Gattin, die Gynäkologin Mélanie, die Flamencolehrerin Manuela, die ML nach dem Tanzkurs auf die letzte Minute eingeladen hat, und der etwas farblose Junggeselle Jean-Louis, Architekt der blitzneuen Küche. Und da ist auch noch Papa Henri, der ganz zufällig auftaucht und von der nicht gerade begeisterten ML in ein Zimmer abgeschoben wird, um Kontroversen mit ihrer Schwester zu vermeiden, die mit ihrem Vater seit Jahren kein Wort redet. Und ach ja: Der Haustürcode hat sich geändert!
Im schicken Ambiente wird angerichtet. Nicht nur die von Piotr fabrizierten delikaten Spezialitäten locken, sondern auch das galante Geplänkel. Doch zwischen den opulenten Gängen schleicht sich Unbehagen und Unsicherheit ein, brutale Wahrheiten ersetzen charmantes Parlieren, und wenn Sarah in Piotr einen alten Seelenfreund wieder findet und beim verstohlenen Kuss die Hormone Tango tanzen, steht der Abend kurzfristig auf der Kippe. Aber nicht nur deswegen.
Während der gediegenen Konversation spielen sich alle Beteiligten etwas vor, kleine Lügen und große Geheimnisse halten die bourgeoise Gesellschaft am Laufen. Beim „vin rouge“ löst sich die Zunge, kommt es beim verbalen Florett zu unvorhergesehenen Geständnissen, unterschwelligen Bösartigkeiten und zur Begleichung offener Rechnungen, aber alles mit geübter Grandezza, auch wenn die verbalen Pfeile gezielt ins Schwarze treffen.
ML möchte vor ihrem zukünftigen Kanzleipartner Lucas brillieren und deklassiert Piotr, Mélanie denkt permanent an ihren gut gebauten Jockey-Liebhaber, ihr Mann will durch aufgesetzte Fröhlichkeit Tod und Krankheit in der Klinik entfliehen und Manuela plappert von Tapas und „Interkulturalität“. Wenn`s gar zu langweilig wird, wechselt man das Thema und diskutiert lapidar die Käsequalität. Erwann entflieht der bürgerlichen Show und lästert mit dem fast gleichaltrigen Vater seiner Freundin über die degenerierte Generation der 40Jährigen, die schrecklich gesund lebt, statt das Leben exzessiv zu genießen. Nostalgie kommt auf beim heißen Sound der 60er Jahre, zum Entsetzen von Juliette legen die beiden Oldies einen rasanten Rock`n`Roll aufs Parkett, von dem die Jungen nur träumen können. Der Abend endet in Harmonie und die Gäste beteuern ohne zu erröten, wie wunderbar alles war - das Essen, die Atmosphäre, die Diskussionen. Auf der Nachhausefahrt wird dagegen Tacheles geredet.
Ein Jahr später treffen sie sich wieder am 21. Juni, doch die Karten wurden neu gemischt. Es ist viel passiert in dem einen Jahr. So verschiebt sich der Veranstaltungsort zum Beispiel in Mélanies neuen Tanzclub, Paare wurden entzweit, andere neu gefunden - es wurde sozusagen wie an MLs Haustür der Code geändert - gleiche Zahlen, neue Reihenfolge. Im ersten Teil des Films nimmt man teil an diesem schrägen, aufwühlenden Gesprächsabend, der als Ursache für das kommende Jahr dient. Das kann mitunter anstrengend sein, zumal ja auch, wie es bei solch einer Menge Leute üblich ist, viel durcheinander geredet wird. Aber dann, wenn ein Jahr vorwärts gesprungen wird, kennt man die Figuren und schaut gespannt drein, wie und ob sich alle geändert haben, was aus ihnen geworden ist.
Während in Deutschland der Begriff Bourgeoisie Assoziationen an spießiges Bürgertum und Erinnerungen an Sonntagsbraten, Häkeldeckchen und Teakholzwände weckt, ist für französische Filmemacher schon seit Luis Buñuel die Bourgeoisie mehr als nur ein Objekt der Begierde, bietet doch das bürgerlich-intellektuelle Milieu eine perfekte Projektionsfläche für eine Gesellschaft, in der man danach strebt, anderen zu gefallen, und die eigene Identität verleugnet. Intelligente Komödien mit Wortwitz und Protagonisten, die sich in einem bunten Panoptikum bewegen und ganz unvermittelt mal den Aus- und Aufbruch wagen, die in Gefühl, Freundschaft, Familie oder Arbeit um Positionen kämpfen, sympathische Jedermanns, die lügen, lachen und weinen, lieben (wenn auch nicht immer den eigenen Partner oder die eigene Partnerin), und eigentlich nur eines möchten: Glücklich sein.
Danièle Thompson ist verliebt in die Liebe, die Menschen und das Leben, wie ihre Filme, die immer Platz für ein Stückchen Hoffnung, Trost und Optimismus lassen. Mit dieser amüsanten Gesellschaftskomödie liefert sie einen perfekten Film für eine laue Sommernacht - egal ob im Freiluftkino oder am heimischen Flachmann. Und mit dieser wahnsinnig genialen Besetzung kann zumindest unterhaltungstechnisch nichts schiefgehen. ■ mz