Interview mit Lina Wendel
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Lina Wendel, geboren und aufgewachsen in Berlin, studierte von 1984–89 an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“. Anschließend wurde sie von Peter Sodann für das „Neue Theater“ in Halle an der Saale engagiert. Sie spielte außerdem an verschiedenen Theatern in Hamburg und Berlin und war 1996–2000 Ensemblemitglied am Staatstheater Cottbus. Während dieser ganzen Jahre drehte sie auch diverse Film- und Fernsehproduktionen.
Haben Sie, als Ihnen diese Rolle angeboten wurde, nur das Glück so einer komplexen Rolle empfunden, oder auch gleich die enorme Herausforderung gesehen?
Nico Sommer hat mir die Geschichte vorab erzählt. Ich fand sie toll, uns war aber auch klar, dass der Film ein Drehbuch braucht, weil es zu schwierig wäre, das alles zu improvisieren. Julia Stiebe schrieb das Drehbuch, die Grundlage, die es brauchte. Allerdings las es sich für mich persönlich an einigen Stellen eher wie ein Porno. Danach haben wir immer wieder kreative, hitzige Diskussionen darüber geführt, um den Kern der Geschichte zu finden. Geht es darum, zu zeigen, wie meine Brust aussieht und welche Stellungen möglich sind? Wie Lina Wendel mit 48 aussieht? Oder geht es darum, vom Glück oder Unglück eines einsamen Menschen zu erzählen, der versucht sich zu finden?
Es ging in diesen Gesprächen also vor allem um die Balance zwischen Zeigen und Verbergen?
Unbedingt, weil man diesen Irrsinn ja nicht zeigen muss, er sollte vielmehr im Kopf des Zuschauers entstehen. Alles zu zeigen, was möglich wäre, ist langweilig. Das war letztlich die große Herausforderung.
Nico Sommer arbeitet in starkem Maße ohne Drehbuch, mit sehr viel Improvisation: Wie haben Sie das empfunden?
Ich wollte schon lange mal ausprobieren, wie das ist, wenn man sich nicht verstecken kann, hinter einem Kostüm, hinter einem fertigen Text, hinter der vierten Wand, wie im Theater. Es gab keine festen Dialoge, die haben wir erst beim Drehen aus der Situation heraus erarbeitet. Wir wussten, was in der Szene erzählt werden sollte, dann lief die Kamera und los ging's.
Die Szene mit Peter am Tisch, als er mich zum ersten Mal zu Hause besucht, haben wir beispielsweise in einem Satz von Anfang bis Ende gedreht. Auch die Szene an der Imbissbude ist komplett improvisiert, was ungeheuren Spaß gemacht hat. Ganz authentisch zu sein, ist sehr schwer, doch Nico hat ein tolles Gespür dafür, wenn man mal nicht echt spielt. So frei zu drehen hat sehr viel Spaß gemacht, weil ich mich dem Regisseur am Set wirklich anvertrauen konnte. Es war eine wunderbare Zusammenarbeit mit dem Kameramann, dem Regisseur und meinen männlichen Kollegen, in einem wirklich gleichberechtigten Ensemble.
Wieviel von Ihrer eigenen Persönlichkeit rutscht denn in eine so stark improvisierte Rolle?
Ganz kann ich mich ja nie von einer Rolle trennen, man trägt immer einen Anteil des eigenen Lebens in die Rolle. Dennoch ist es eine komplette Figur, weil ich das, was diese Frau erfahren hat, ja selbst nie gelebt habe. Ich bin ein ganz anderer Mensch als Silvi. Allerdings glaube ich, dass viele Menschen die Sehnsucht haben, sich mal zu trauen, so etwas auszuprobieren.
Dennoch fragt man sich in den Interviewpassagen hin und wieder, wer da antwortet: Ist das wirklich nur Silvi oder doch auch Lina Wendel?
Immer die Silvi, anders geht das ja gar nicht. Wenn ich da sitzen würde, wäre etwas ganz anderes entstanden. Man hat beim Drehen immer die Struktur der Figur im Kopf, alles, was schon gedreht und von dieser Frau erzählt wurde, für die es ja auch einen dramaturgischen Handlungsbogen gibt. Man hat immer im Blick, was schon im Kasten ist und was noch erzählt werden muss. Dennoch spielen da natürlich auch meine Träume und Sehnsüchte hinein. So eine Stelle, in der ich sage „Wenn Dich niemand umarmt, wirst du eben zum Einzelkämpfer“, damit können sich meiner Meinung nach sehr viele Menschen identifizieren.
Warum, denken Sie, hat sich so ein junger Regisseur wie Nico Sommer gerade für dieses Thema interessiert?
Ich habe ihn in Kassel über ein studentisches Filmprojekt kennengelernt. Und dann kam er eines Tages in das kleine politische Kabarett, in dem ich spiele. Noch während seiner Studienzeit hat er sich kurzerhand selbständig gemacht, eine Produktionsfirma gegründet, und mit Ende zwanzig einen wunderbaren Diplomfilm gedreht, eine Langzeitdokumentation über vier Musiker, die versuchen, von ihrer Musik zu leben. Er hat vier Jahre lang immer in seiner Freizeit mit eigenem Geld gedreht! Das erinnert mich an die Werte, für die ich selbst einmal losgezogen bin. Es ist schon etwas Besonderes, wie Nico die Zeit, in der wir leben, abbildet, ohne dabei auf die Tränendrüse zu drücken.
Das ist ein sehr dokumentarischer Ansatz in der Fiktion: Was bedeutet Ihnen die Realität in Ihrer Arbeit?
Man kann den Beruf nicht von der Zeit abkoppeln, in der man lebt. Die meisten Schauspieler ergreifen diesen Beruf, weil sie eine schlimme Kindheit hatten und das in die Welt hinausschreien wollen, um es ins Positive zu wenden. Als Kind habe ich mal Jane Fonda gesehen, und dachte, das ist toll: Sie ist berühmt, hat viel Geld und setzt sich für den Tierschutz ein, das wollte ich auch machen, berühmt werden und dann in die Politik gehen, um die Welt besser zu machen.
Das war mein Ansatz, nun war es in DDR-Zeiten ja so, dass man bei einem Satz über die Gedankenfreiheit eine Stecknadel im Zuschauerraum fallen hören konnte, heute interessiert das niemanden mehr. Ich bin ja komplett ohne Bücher groß geworden, ohne Literatur und ohne Kunst, sozusagen im fünften Hinterhof. Heute weiß ich, was für eine unglaubliche Kraft das ist.
Der Wunsch, die Welt zu verändern, war ein kraftvoller Motor. Sie besser zu hinterlassen, wie Brecht sagt, nicht nur im Dasein gut zu sein, sondern wirklich die Welt als Besseres zu hinterlassen, das war ein großer Wunsch. Über den Roten Teppich zu gehen, fällt mir schwer, weil das ausschließlich mit Eitelkeiten zu tun hat und nicht mit Inhalten. Doch jetzt über den roten Teppich zu laufen, mit einem Film, der viele Gefühle auslöst und viele Seelchen anspricht, bedeutet mir sehr viel.
Die klassische Frauenrolle über vierzig ist die verlassene Ehefrau, die zurückbleibt, nachdem der Mann mit einer Jüngeren abgehauen ist. Silvi dagegen wechselt vom Beifahrersitz des Lebens auf den Fahrersitz. Spiegelt sich darin für Sie auch eine gesellschaftliche Veränderung?
Ich bin durch die DDR geprägt und dadurch ganz anders sozialisiert. Diese Frage stellte sich mir gar nicht, wir waren alle selbständig, wir hatten alle eine feste Arbeit. Es gab Krippen und Kindergartenplätze, da musste keine Frau als Heimchen am Herd stehen bleiben. Dennoch beobachte ich um mich herum, dass die Frauen mehr Mut haben, alleine zu leben. Es ist ja auch völliger Quatsch, man kann doch mit sechzig noch mal die Welt umsegeln, oder auch ein Studium anfangen. Das Problem ist eher, dass wir in Gewohnheiten festgefahren sind, doch ich denke, die Frauen werden da immer mutiger.
Was bedeuten Ihnen denn Schlagertexte wie „So schön kann doch kein Mann sein, dass ich ihm lange nachwein’“ oder „Ich hab beinah dreißig Jahre gebraucht, um zu sein, wie ich eigentlich bin“?
Ohne sie bewusst gehört zu haben, kannte ich die Texte, weil meine Mutter und meine Oma Gitte Hænning sehr verehrt haben. Doch als ich mir das Lied jetzt angehört habe, wusste ich sofort, wohin Nico emotional mit dem Film will. Ich glaube, dass es vielen Frauen so geht: Mit 22 ist man ja noch blöd, man weiß ja noch nicht viel vom Leben und von der Liebe, und kann ja auch nur aus dieser Naivität heraus gleich mit einem Mann zusammenzuziehen.
Warum machen Sie sich im Kino so rar?
Das liegt vor allem daran, dass mich niemand kennt. Ich werde immer gefragt, ob ich lange darüber nachgedacht habe, mich auf diesen Film einzulassen! Aber nein, ich habe mich gefreut, dass so ein junger Kerl Lust hat, mit mir zu drehen, was ja nicht nur für mich, sondern auch für ihn ein Wagnis war. Quelle: Bildkraft; Interview: Anke Sterneborg ■ mz