Montag, 4. November 2024
Die irre Heldentour des Billy Lynn
Billy Lynn's long Halftime Walk
Billy Lynn ist innerlich zerrissen.
© Sony Pictures

Nach einem traumatischen Gefecht im Irakkrieg werden der 19-jährige Soldat Billy Lynn und seine Kameraden als Helden gefeiert und auf eine landesweite Siegestour durch die USA geschickt. Doch nach und nach geraten die wahren Geschehnisse am Golf ans Licht und drohen während der spektakulären Halbzeit-Show eines Footballspiels an Thanksgiving enthüllt zu werden. Die amerikanische Feier-Euphorie ist meilenweit von der Realität des Krieges entfernt...

»You keep on drillin', we keep on killin'.«

»Die Geburt des Romans begann 2004 während eines [Dallas] Cowboys Footballspiel an Thanksgiving«, sagt Autor Ben Fountain. »Das war drei Wochen nach der Präsidentschaftswahl, als George W. Bush Kerry geschlagen hatte. Mir war, als würde ich mein Land nicht mehr verstehen. Wir hatten das Spiel an. Die Halbzeit kommt und ich sitze auf dem Sofa. Und alle springen auf, denn keiner sieht sich die Halbzeitshow an. Ich blieb aber und fing an, mir die Halbzeitshow anzusehen - ich meine, richtig anzusehen! Und es ist so ziemlich, wie ich es in dem Buch beschrieben habe: ein surreales, ziemlich psychotisches Gemisch aus amerikanischem Patriotismus, Einzigartigkeit, populärer Musik, Soft-Porno und Militarismus. Eine Menge Soldaten standen auf dem Feld mit amerikanischen Flaggen und Feuerwerk.

Ich dachte, das war das Verrückteste, was ich je gesehen hatte. Aber alle anderen fanden das okay - die Ansager im TV und alle drum herum, halt ein ganz normaler Tag in Amerika. Als da nun eine Menge Soldaten auf dem Feld waren, fragte ich mich, wie es denn wäre, ein Soldat zu sein, der im Gefecht war, der in die USA zurückgebracht und in diese sehr künstliche Situation hineingesetzt wurde. Was würde das mit deinem Kopf anstellen? Ich wollte den Leser fühlen lassen, er oder sie stecken in Billys Haut. Und ich denke, das war auch das, was Ang zu tun versuchte.«

Während im Buch Billy Lynns Konflikt durch einen inneren Dialog realisiert wurde, verließen sich die Filmemacher auf die Darstellungskraft von Hauptdarsteller Joe Alwyn, der hier zusätzlich seinen Einstand gibt. Zwar stehen ihm hier einige namhafte Schauspieler zur Seite bzw. gegenüber, doch den recht langen Film auf den Schultern eines Neulings stemmen zu lassen war für Ang Lee eine mutige Entscheidung.

So lässt der Regisseur die Geschichte aus dem Blickwinkel von Billy erzählen, was dieser erlebt, wenn er zunächst zu seiner Familie zurückkehrt, wie dessen Mitglieder darauf reagieren, wie er dann erneut mit seiner Einheit für die Tour zusammenkommt, wie diese von einem lange nicht gesehenen Chris Tucker als PR-Manager über die bevorstehende Show unterrichtet werden, wie sich Billy hinter den Kulissen im Presseraum in die Cheerleaderin Faison verknallt, wie seine Gefühle und die seiner Mitstreiter während der bombastischen Halbzeitshow Achterbahn fahren, wie der von Steve Martin gespielte Produzent plant, die Popularität des Bravo-Teams zu seinen Gunsten auszunutzen, und wie Billy am Ende hin- und hergerissen ist zwischen der anschließenden Rückkehr seiner Einheit ins Krisengebiet und dem Desertieren zu Gunsten des Aufbaus eines neuen Lebens...mit Faison - und das Ganze übersät mit Rückblenden von Billys heldenhaftem Einsatz, im Gefecht seinen angeschossenen, von Vin Diesel gespielten Vorgesetzten zu retten.

»It's somehow weird being honored for the worst day in my life.«

»„Billy Lynn's long Halftime Walk“ war ein sehr fesselndes Buch«, merkt Ang Lee an. »Seine Beobachtungen der Absurdität des überbordenden Empfangs, den die Krieger erhalten, die Nebeneinanderstellung der extravaganten Feier seines Heldentums, die mit seinem Kriegsdienst im Irak zusammengeschnitten wird, die Ironie dieser beiden Erfahrungen Seite an Seite, sind eine Art existenzielle Überprüfung dessen, was echt ist und was nicht. Da steckt so eine Art Zen-Qualität in diesem Vergleich, die mich fasziniert hat. Ich war auch von der Sachlage des Geschichtenerzählens angezogen - die Halbzeitshow von 2004, die den Soldaten feiert, nebeneinandergestellt zum echten Kampf - das Drama, der Konflikt, eine Art Erwachsenwerdengeschichte eines jungen Soldaten, der sich erst zurechtfinden muss.

Es war großartiges Material, um diese neue Technologie zu benutzen, die ich dafür ausgewählt habe, um die Zuschauer einzunehmen. Wenn wir Filme sehen, ist das für mich so, als würden wir jemandes Geschichte aus der Entfernung betrachten. Meine Hoffnung mit dieser Technologie ist es, dass sie mehr Intimität zulassen könnte, um wahrlich die persönlichen Gefühle eines hin- und hergerissenen jungen Soldaten aufzuzeigen. Deshalb nenne ich es „neues Kino“, weil es eine neue Art ist, einen Film zu machen, zu sehen und zu erleben, und es schien für dieses Projekt perfekt zu sein. Es war toll, Billy Lynn ins Zentrum dieser Halbzeitshow zu stellen, was eine sehr dramatische und fesselnde Art ist, Menschheit und Gesellschaft zu untersuchen. Nach der Hälfte des Buches wusste ich, ich wollte das machen.«

Ang Lee drehte diesen Film so aufwändig wie nur möglich - in 3D, mit doppelter Auflösung (4k) und mit 120 Bildern pro Sekunde (normal sind 25-30). Hinzu kommt ein dementsprechender Filmstil, der Weg weisend sein könnte, wenn der Film nicht so lang und weilig wäre. »Der Film sondiert die Realität der Erlebnisse dieses einen Soldaten, Billy Lynn. Die Technologie erlaubt es uns, zu begreifen, wie er es vernimmt, wie er es betrachtet«, erklärt Produzent Marc Platt. »Speziell diese Geschichte ist sehr gut für die Anwendung dieser Technologie geeignet. Je nach Szene kann die Welt höchst real wiedergegeben werden, oder sie kannheruntergemischt werden, um es ein wenig mehr wie einen Film aussehen zu lassen. Wenn die Leute mit Billy sprechen, speziell in einem intimen Moment, wenn sie sich in einer Nahaufnahme befinden, befindet sich deren Augenlinie direkt der Kamera gegenüber, was sehr ungewöhnlich ist. Wird etwas von der anderen Person wahrgenommen, und wenn wir auf Billy sehen, ist die Augenlinie eher traditionell, ein wenig von der Seite.

Der Effekt dessen ist, speziell bei einer hohen Bildrate, wenn jemand direkt in die Kamera sieht, nimmt man Billys Platz ein, sieht und hört es wie er, und man fühlt es auf eine eingehende, intensive Weise. Oder wenn sich Billy von seiner Umgebung abgegrenzt fühlt, wenn er hört, was gesagt wird, es aber nicht verarbeitet oder sich dadurch defensiv fühlt und in seinen eigenen Gedanken versunken ist, erlaubt er es uns, Billy zu isolieren, ein Gefühl von Subjektivität zu schaffen. Es ist dann, als wenn das Publikum neben ihm sitzt, während Dinge um ihn herum projiziert werden. Das sind nur einige der Dinge, die zusammen mit der hohen Bildrate und Auflösung entwickelt werden, um es zu einer speziell einzigartigen filmischen Erfahrung zu machen.«

Dass man erst darüber lesen muss, um die Kunst dieses speziellen Filmemachens zu begreifen, anstatt es im Film zu merken, liegt einfach daran, dass einem im Kino zwar die hohe Bildrate auffällt, doch der Rest irgendwie untergeht, weil der Film(stoff) nicht unbedingt bei einem deutschen Publikum ankommt, da es solche gigantischen Halbzeitshows nur in den USA gibt, wo die Helden derart gefeiert und zur Schau gestellt werden, dass man nachvollziehen kann, warum sich Ang Lee für diesen technischen und filmischen Aufwand entschlossen hat.

Sicher, hier gibt es auch Soldaten, die in den Krieg ziehen. Doch hier in Europa ist man nicht so überkandidelt spektakulär an einer Zurschaustellung des Leids Anderer zugetan wie in den USA. Daran merkt man auch die Perversion dieser Geschichte. Aber man erkennt auch den inneren Konflikt eines Billy Lynn und fiebert trotzdem mit ihm mit, die Show durchzustehen, aber vor allem, dem Wahnsinn ein Ende zu setzen. Umso deprimierter ist man schließlich, wenn Billy dann doch zur Stabilität seiner Einheit zurückkehrt. Und während die Show für die Soldaten eine Art (Alb-)Traum bleibt, so wie sie es auch für den Autor war, so ist der Film eine Art Traum für den Kinogänger.

Es gibt diverse unterhaltsame, liebevolle und auch spannende Szenen, doch die meiste Zeit über fühlt man sich fehl am Platze, als würde man hinter die Kulissen einer großen Samstagabendshow blicken und sehen, dass man das eigentlich gar nicht will. Alles wirkt so schnell und hektisch, die Leute sind aggressiv und unsympathisch und ehe man sich versieht, ist der Spuk schon wieder vorbei und man fühlt sich wie am Hinterausgang rausgeworfen. Das will man hier nicht wirklich sehen, weshalb der Film auch hierzulande kaum in 3D in die Kinos kommt. Und die doppelte Auflösung sieht man im Kino sowieso nicht.

Die Schauspieler mögen toll gespielt haben, besonders auffallend: Kristen Stewart als Billys Schwester, die ihm helfen will, vorzeitig aus dem Kriegsdienst auszuscheiden, und die bezaubernde Makenzie Leigh, die Billy den Kopf verdreht, auch Vin Diesel weiß sich gekonnt in Szene zu setzen, auch wenn er mal gegen den Strich das Zeitliche segnet, doch die Geschichte ist so uninteressant und langgezogen, dass man sich die knapp zwei Stunden oft abquälen muss. Und die von Ang Lee als neu empfundenen Technologien sind bereits besser und eindringlicher inszeniert worden. Man erinnere sich z.B. an Kathryn Bigelows Strange Days! Vielleicht fallen die Einstellungen hier auch nur deshalb nicht auf, weil der Film nicht auffällt. Auf jeden Fall muss man „die irre Heldentour“ nicht unbedingt im Kino sehen. Womöglich wird der Film ein paar Fans auf BluRay finden, wo er hoffentlich dann in 3D/4k/120fps/Dolby Atmos herauskommen wird. Und eventuell dann kann man Ang Lees Vision verstehen. Oder auch nicht. ■ mz

23. Februar 2017

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