Lobbyismus ist nicht jedermanns Thema, oft zäh und ungeliebt und schwer zu verstehen. Jetzt kommt Miss Sloane in die Kinos, mit dem tiefergehenden deutschen Titel Die Erfindung der Wahrheit, unter dem man sich eigentlich derzeit lediglich einen Film über Donald Trump vorstellen vermag. Mit dem hat der Film jedoch bei weitem nichts zu tun. John Madden, der sich zuletzt mit den Best Exotic Marigold Hotel-Filmen und der Pilotfolge von Masters of Sex in seichteren Gefilden herumtummelte, inszenierte nun wieder einen Thriller, der sich damit beschäftigt, dass auch Lobbyisten nicht ganz ohne Gewissen auskommen können.
In Washington, wo politische Einflussnahme hinter den Kulissen ein lukratives Geschäft ist, ist Elizabeth Sloane der Star der Branche. Die brillante, selbstsichere und völlig skrupellose Lobbyistin der alteingesessenen Kanzlei George Dupont ist berüchtigt für ihr einzigartiges Talent, ihre Rücksichtslosigkeit und ihre zahllosen Erfolge. Um ans Ziel zu kommen, tut sie alles.
Für die mächtige Waffenlobby ist sie die Frau der Stunde, um ein neues unliebsames Waffengesetz zu verhindern. Doch Miss Sloane verfolgt ihre eigenen Ziele und wechselt nach einem Streit mit Dupont überraschend die Seiten. Die Waffenlobby sieht sich plötzlich einer unberechenbaren Gegnerin gegenüber. Sloane nimmt den härtesten Kampf ihrer Karriere in Angriff und beginnt zu ahnen, dass der Preis für den Erfolg etwas zu hoch sein könnte...
Der Film erzählt spannend und wendungsreich von einer Drahtzieherin in Washington, die bis zur Besessenheit immer gewinnen will. Das im Drehbuch vermittelte, extrem detailreiche Porträt einer geheimnisumwitterten Industrie überraschte Regisseur John Madden. »Ich habe eine grobe Vorstellung davon, was diesen Job ausmacht, ohne aber genau zu wissen, was ein Lobbyist tatsächlich tut. Ich denke, vielen anderen Menschen geht es ähnlich«, kommentiert der Regisseur.
»Das Drehbuch war intelligent, voller Überraschungen und in jeder Hinsicht überzeugend. Es spielt in einer Welt, die durch und durch von Strategie bestimmt wird. Die Figuren kommunizieren ironisch, und ohne etwas direkt anzusprechen. Und damit präsentiert sich hier ein Film, der extrem clever, witzig und überraschend ist. Die stärkste Waffe des Drehbuchs ist seine Unberechenbarkeit - es geht nie den Weg, den man vermutet.«
Lobbyisten sind herausragende Kommunikationsprofis, die ihren Lebensunterhalt verdienen, indem sie die beeinflussen, die in unserer Welt die Entscheidungen treffen. Und dazu gehören auch die mächtigsten Kräfte, die in den Vereinigten Staaten in den gesetzgeberischen Prozess involviert sind. Lobbyisten sind verschwiegen, unglaublich mächtig und geheimnisvoll. Selbst die Herkunft ihrer Berufsbezeichnung ist unklar, obwohl einige sie auf den ehemaligen US-Präsidenten Ulysses S. Grant zurückführen, der in der Lobby des Willard Hotels in Washington von speziellen Interessensvertretern bedrängt und zur Rede gestellt wurde.
»Der Film lässt sich nicht mit einem griffigen Etikett beschreiben«, erläutert John Madden. »Er ist gleichzeitig ein Politdrama und ein unberechenbarer Thriller voller Überraschungen. Darüber hinaus enthüllt er den Mechanismus eines politischen Prozesses, der bisher kaum erforscht und noch weniger wirklich verstanden wurde. Vor allem aber ist der Film die fesselnde Studie einer außergewöhnlichen und obsessiven Figur, die gleichermaßen von ihrer Intelligenz und ihren Fähigkeiten definiert wird wie von ihrem Geschlecht. Am meisten überrascht an diesem Film, dass er das Gefühlsleben seiner Titelheldin porträtiert, die weder zugeben noch gutheißen würde, dass sie überhaupt eines hat.«
In der Titelrolle der Miss Sloane brilliert Jessica Chastain, die bereits zweimal für den Oscar® nominiert wurde und ihn mit dieser Rolle hoffentlich bekommen wird. Wenn der Film beginnt und ihr Gesicht in einer Großaufnahme zu sehen ist, kommt natürlich das beliebte Verwechslungsspiel „Chastain oder Redmayne“ ins Gedächtnis, das Jimmy Fallon in der Tonight Show aus einem Internettrend präsentierte. [Eddie Redmayne hat übrigens schon einen Oscar®.]
Dann bekommt man Miss Sloane von ihrer knallharten Seite zu sehen. Im Gegensatz zu Actionprofis teilt sie mit Blicken, Worten und Intrigen aus, denn ihre Gegner sind Politiker und skrupellose Industrielle und keine Kleinkriminellen. »Von Beginn an entfaltet sich ein packendes Drama«, zeigt sich Ben Browning beeindruckt, seines Zeichens Mitpräsident im Bereich Produktion und Erwerb bei der Produktionsgesellschaft FilmNation Entertainment.
»Es ist ein Drehbuch, das man in einem Zug durchliest. Es finden sich hier Elemente von Thriller, Drama und Politik, mehr als alles andere aber dreht sich dieses Skript um eine großartige Figur. Das Drehbuch wirft unterhaltsam und temporeich einen Blick auf einen der weniger bekannten Aspekte der Politik – mit dem Fokus auf eine spektakuläre weibliche Hauptfigur. Nichts an dieser Figur ist konventionell weiblich. Sie ist weder Ehefrau noch Mutter. Elizabeth Sloane hätte auch ein Mann sein können, aber eine Frau, die sich in einer Männerwelt behaupten muss, machte diese Figur um so vieles facettenreicher.«
Bei der Gesetzesvorlage handelt es sich um den Heaton-Harris-Entwurf, einen fiktiven parteiübergreifenden Gesetzesentwurf zur stärkeren Kontrolle des Verkaufs von Schusswaffen, was ein ständig aktuelles Thema in den Vereinigten Staaten ist, nicht zuletzt durch die immer wieder auftretenden Amokläufe. Zuletzt war es auch ein Thema in der Superheldenserie Arrow, worin sich Titelheld und Bürgermeister Oliver Queen eine Meinung der Öffentlichkeit gegenüber bilden musste. »Doch gesetzliche Schusswaffenkontrolle ist nicht das Hauptthema des Films«, erläutert Produzent Kris Thykier.
»Miss Sloane ist ein fesselnder Film und spielt in einer Welt, die von Lobbyismus und Regierungsangelegenheiten geprägt wird. Jonathan [Perrera] hat ein Problem, das viele Gefühle auslöst, dramaturgisch zentral platziert, aber dieses könnte vielleicht auch nur eines von vielen sein. Die Dialoge sind temporeich und bissig, der dabei vermittelte Humor frischt unsere Vorstellung von diesem Genre deutlich auf. Es entsteht etwas Neues, das gleichermaßen unterhaltsam und für jeden zugänglich ist. Es ist einfach aufregend zu beobachten, wie Elizabeth Sloane mit allen Mitteln ihre Ziele zu erreichen versucht und dabei virtuos mit dem Leben anderer Menschen spielt.«
Regisseur John Madden und Jessica Chastain hatten bereits beim Thriller Eine offene Rechnung zusammengearbeitet, als die Schauspielerin noch am Anfang ihrer Leinwandkarriere stand. Zwei Jahre später spielte Frau Chastain in ihrer Oscar®-nominierten Rolle in Zero Dark Thirty neben dem Briten Mark Strong, der hier erneut mit ihr vor der Kamera agieren konnte. Rodolfo Schmidt, Elizabeth Sloanes neuer Chef, ist ein prinzipientreuer und brillanter Leiter einer kleinen Lobbyisten-Firma in Washington, eine etwas andere Rolle als die des Bösewichts, für die er schon so oft besetzt wurde.
»Im Unterschied zu Liz ist es Rodolfo wichtig, wie er von anderen wahrgenommen wird und welche Auswirkungen seine Handlungen auf andere Menschen haben«, sagt Jessica Chastain. »Die Unterschiede zwischen diesen beiden Figuren machen die Szenen mit ihnen ausgesprochen interessant. Sie benimmt sich wie ein Elefant im Porzellanladen, er versucht, den Elefanten zu kontrollieren.«
Liz Sloane kommt in einen Konflikt, als sie ihre neue Kollegin Esme Manucharian als Gesicht der Kampagne ins Rampenlicht stellt und ihr geheimstes Problem öffentlich macht, um das größtmöglich mitfühlende Ergebnis zu erzielen. »Man könnte vielleicht argumentierten, dass der Zweck die Mittel heiligt, alles einem höheren Ziel dient, aber genau das ist das moralische Dilemma, das dieser Film beleuchtet«, sagt Gugu Mbatha-Raw, die für ihre Rolle in Dido Elizabeth Belle zahlreich Lob erntete. »Welchen Preis ist man bereit zu zahlen, um sein Ziel zu erreichen? Wenn der Sieg über allem anderen steht, man dabei aber genau die Menschen verletzt und verprellt, denen man nicht egal ist, ist es das dann am Ende wirklich wert?«
Jessica Chastain beeindruckte die Nachdenklichkeit, die Sensibilität und die Offenheit ihrer jungen Kollegin sehr. »Es war wirklich interessant zu beobachten, wie diese Kräfte und Qualitäten zusammenkamen. Gugu führt eine Verletzlichkeit in die Geschichte ein, die Liz' Welt wirklich ins Wanken bringt. Zum ersten Mal ist sie gezwungen, sich mit den Gefühlen eines anderen Menschen auseinanderzusetzen. Meiner Ansicht nach ist Esme in vielerlei Hinsicht das Herz des Films.«
Eingebettet ist das recht lange, jedoch spannende Drama in eine Anhörung vor dem Kongress, die der souverän aggressive John Lithgow als Senator führt. Am Ende, wenn sich der Handlungskreis schließt, werden die Zuschauenden, wie auch Miss Sloane, mit einer Wendung belohnt, die nicht nur die ganze Sache rund macht, sondern auch die neu gefundene Stärke der Protagonistin aufzeigt. Ähnlich wie beim letztjährigen The Big Short wird hier ein ungeliebtes schwieriges und filmisch ungewöhnliches, trockenes Thema schwungvoll mit pfiffigen Dialogen und herausragenden Schauspielerinnen umgesetzt. Bravo! ■ mz