Sonntag, 8. Dezember 2024
Eigenbrötler, Atheist und Freigeist - Lucky
© Alamode Film
Lucky ist ein 90-jähriger Eigenbrötler, Atheist und Freigeist. Er lebt in einem verschlafenen Wüstenstädtchen im amerikanischen Nirgendwo und verbringt seine Tage mit bewährten Ritualen – Yoga, Eiskaffee und Kreuzworträtsel am Morgen, philosophische Gespräche bei Bloody Mary am Abend - bis er sich nach einem kleinen Unfall seiner Vergänglichkeit bewusst wird - Zeit, dem Leben noch einmal auf den Zahn zu fühlen.
»Realism is a thing!«
Lucky ist ein wundervoller Film über das Alter, Amerika und die Veränderungen in der Gesellschaft. Lucky, dessen echten Namen wir nie erfahren, blickt zynisch auf die Gesellschaft und das Leben und legt sich mit jedem an, der ihm etwas weismachen will. Lucky IST Harry Dean Stanton! „Er war der Cop, das Wrack, der Anführer, der Weltallreisende, der Betrüger, der Einzelgänger, der Cowboy, der Poet, der Säufer, der Vater, der entfremdete Bruder“, schrieb Filmkritiker Collin Souter. „Man muss ihn nur ansehen und man weiß sofort, dass er sowohl ein Sucher wie auch ein Mann ist, der alle Antworten kennt - ein Wanderer und ein Mann, der angekommen ist.“
»The older you get the longer you gonna live.«
Als Lucky eines Morgens hypnotisch auf die blinkende Digitaluhr seiner Kaffeemaschine blickt, fällt er plötzlich um. Sein Arzt sagt ihm, er sei alt und wird älter. Ansonsten ist Lucky bei bester Gesundheit, trotzdem er eine Schachtel Zigaretten am Tag raucht. Er bekommt es mit der Angst zu tun und beginnt sich allein zu fühlen, vor allem weil er dieses Urgestein ist, das einfach nicht stirbt, genauso wie die Kakteen in der Umgebung oder die Landschildkröte President Roosevelt, die seinem Freund Howard entlaufen ist - eine Paraderolle für David Lynch, der Harry Dean Stanton immer wieder in seinen Produktionen besetzt hat, ob in Wild at Heart, The Straight Story oder zuletzt in Twin Peaks.
President Roosevelt ist eine Landschildkröte, die zu den Wundern des Universums gehört und bis zu 200 Jahre alt werden kann. Sie gehört auch zur Rahmenhandlung, denn gleich zu Beginn des Films sehen wir sie hinter einem Busch aus dem Bild krauchen und am Ende wieder zurück. Howard fühlt sich alleingelassen und will ihr sein Hab und Gut vermachen, sollte sie zurück kommen, weshalb er einen Anwalt engagierte, um dies zu besprechen.
Lucky empfindet nichts als Abscheu gegenüber diesem Anwalt, doch als sie sich später im Cafe wiederbegegnen, kann dieser Lucky mit einer Geschichte besänftigen, die ihn dazu bewegt hat, das eigene Ableben für seine Hinterbliebenen zu regeln. Doch Lucky hat auch für ihn eine Weisheit: „Das ändert aber nichts an deiner Lage...du bist immernoch tot.“
»There is a difference between being lonely and being alone.«
Den ganzen Film über hört man immer wieder Harry Dean Stantons Mundharmonikaspiel, was so traurig und einsam klingt wie Lucky aussieht. Wenn er so durch die Gegend läuft, erinnert einen das irgendwie an Helge Schneider in Texas, doch die Melancholie in Lucky überwiegt der Skurrilität, weshalb man die beiden Filme und Persönlichkeiten nicht wirklich miteinander vergleichen kann.
Als Lucky eines Abends seinen Kumpel anrufen will, von dem man nie erfährt, wie dieser heißt, mit dem er immer wieder telefoniert, und dieser nicht rangeht, bekommt es Lucky mit der Angst zu tun. In dem Moment erklingt auch Johnny Cashs „I see a Darkness“, in dem man das Gefühl bekommt, der Sensenmann stünde vor der Tür. Das Lied passt perfekt in den Film, geht es doch um das tiefe Bedürfnis, anderen Menschen nahe zu sein, gerade in Momenten der Dunkelheit.
»Did you ever have flan? I love it, it has an unusual consistency.«
Harry Dean Stanton, der seit seiner ersten (und bis Lucky einzigen) Hauptrolle in Paris, Texas und dem Erfolg von Repo Man mit eigener Band unterwegs war, kann seine Gesangskünste noch einmal unter Beweis stellen, als Lucky die Einladung der mexikanischen Supermarktbesitzerin Bibi annimmt und zum Geburtstag ihres zehnjährigen Sohnes Juan erscheint.
Die Feier ist in vollem Gange, und Lucky, der am Rande steht, ist sichtlich gerührt von diesem Moment der Gemeinschaft. Er stimmt eine mexikanische Ballade an, weil er in diesem Moment nicht anders kann. Die Mariachigruppe stimmt in diesen Standard ein, die Menschen auf der Feier singen mit. Die Musik eint sie. Lucky ist nicht mehr allein. Die Dunkelheit ist verflogen. Das Leben ist schön - wie die Musik in diesem Film, die sich so tief vor Harry Dean Stanton verbeugt.
Bevor Lucky am Ende die Wüstenkakteen bewundert und aus dem Bild geht, gibt er noch in der Kneipe eine letzte Weisheit von sich, dass wir alle vergänglich sind und irgendwann ins schwarze Nichts entschwinden, die Leere, in der niemand eine Verantwortung trägt. Und auf die Frage, was wir mit dieser deprimierenden Erkenntnis denn anfangen sollen, sagt er einfach nur: „Lächeln.“
Wenn am Ende Augen trocken bleiben, hat man den Film und das Leben nicht verstanden. Lucky ist einer der wundervollsten Filme und hätte eigentlich einen Oscar® verdient, wenn nicht sogar posthum für Harry Dean Stanton, der vergangenen Herbst mit 91 Jahren verstarb. Das Regiedebüt des Schauspielers John Carroll Lynch, der an der Seite von Frances McDormand in Fargo bekannt wurde und seitdem in zahlreichen Filmen und Serien zu sehen war, ist eine Hommage an den ewigen Nebendarsteller, die Freunde und Bekannte mit einbezieht. Einen besseren „Abgang“ hätte sich niemand wünschen können. Allerdings ist Lucky nicht der letzte Film der verstorbenen Ikone: In Frank & Ava um die Beziehung zwischen Frank Sinatra zu Ava Gardner ist er noch einmal in einer Nebenrolle zu sehen - als Sheriff. Wann der Film in die Kinos kommt, ist noch nicht bekannt. ■ mz
8. März 2018

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Lucky



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