Adoption und das Schicksal von Pflegekindern ist an sich ein sehr ernstes Thema. Doch Sean Anders scheut sich nicht, auch die lustigen Seiten hervorzuheben – schließlich ist Plötzlich Familie seine persönliche Geschichte. Als sich er und seine Frau entschlossen, drei Geschwisterkinder zu adoptieren, geriet ihr Leben aus den Fugen. »Vieles, was dann passierte, war komisch, vieles aber auch frustrierend«, erzählt der Filmemacher. »Du nimmst Menschen bei dir zu Hause auf, die von jetzt auf gleich deine Kinder werden sollen, obwohl du sie kaum kennst und sie dich ebenso wenig – das ist doch die reinste Steilvorlage für eine Gesellschaftskomödie.«
»If you'd say rescue kids instead of foster kids...«
Der Film beginnt damit, dass Pete und Ellie Wagner ein leer stehendes, ziemlich heruntergekommenes Haus besichtigen. Das Paar möbelt Immobilien auf und verwandelt sie in das perfekte Zuhause. Eigentlich wollte sie das Haus für ihre Schwester herrichten, die bald Mutter wird. Der fehlt jedoch die Vorstellungskraft, findet das Haus schrecklich. Insgeheim beneidet sie die kinderlose Ellie um ihre Freiheit und zickt: „Wenn ihr dieses Haus so toll findet, warum zieht ihr dann nicht selbst ein?“ Ihr Mann setzt noch eins drauf: „Aber was sollen die beiden mit fünf Zimmern und Garten? Die kriegen doch sowieso keine Kinder mehr.“
Die Worte versetzen Ellie einen Stich. Hat sie sich zu lange auf die Arbeit konzentriert und den richtigen Zeitpunkt verpasst? Ist es wirklich zu spät, eine Familie zu gründen? Daraufhin setzen sich Ellie und Paul mit dem Thema Adoption auseinander und lernen die 15-jährige Lizzy kennen, die schon seit Jahren kein richtiges Zuhause hat.
Die Adoptionsagentur hat ein Picknick organisiert, bei dem potenzielle Eltern „ihre“ zukünftigen Kinder treffen können. In der Regel werden die Kleineren bevorzugt – wer holt sich schon freiwillig einen renitenten Teenager ins Haus? Niemand weiß das besser als Lizzy, die sich bei der etwas gezwungenen Veranstaltung betont cool gibt und die überforderten Wagners mit Verachtung straft. Doch Pete und Ellie geht das Mädchen nicht mehr auf dem Kopf.
Von den Sozialarbeiterinnen erfahren die Wagners, dass Lizzy eine gute Schülerin ist, aber auf keinen Fall in eine Pflegefamilie will, denn sie hat zwei jüngere Geschwister, Juan und Lita, für die sie sich verantwortlich fühlt. Die drei werden schon so lange von einer Gerichtsanhörung zur nächsten offiziellen Stelle durchgeschleust, dass Lizzy jedes Vertrauen in Erwachsene verloren hat und zu einem rebellischen, sturen, manipulativen Teenager herangewachsen ist. Wer könnte es ihr verdenken?
Lizzys Bruder Juan dagegen ist ein sensibler, schüchterner Junge, der sich permanent entschuldigt – immer in der Angst, weggeschickt zu werden. Ganz anders Wildfang Lita: Die Kleine isst nichts außer Kartoffelchips und mutiert zum Satansbraten, wenn sie ihren Willen nicht bekommt. Pete und Ellie sind hin- und hergerissen. Die „kosmische Verbindung“, die Pete erwartet hatte, wenn er „seine“ Kinder zum ersten Mal sieht, hat sich nicht eingestellt. Und wenn sie jetzt „Ja“ sagen, gibt es kein Zurück mehr.
Moralischen Beistand findet das Paar in einer Selbsthilfegruppe. Großen Eindruck hinterlässt Gastrednerin Brenda, die selbst adoptiert wurde. Die Studentin erzählt, wie ihre Zeit mit vierzehn abzulaufen schien - niemand will einen Teenager adoptieren. In ein paar Jahren wäre sie der staatlichen Fürsorge entwachsen und auf sich allein gestellt. Mehr als die Hälfte aller Kinder, die für die staatlichen Stellen zu alt sind und durchs Raster fallen, werden obdachlos, drogensüchtig oder straffällig. Doch dann traten zwei ganz besondere Menschen in Brendas Leben. Und obwohl sie es ihnen wirklich nicht leicht gemacht hat, waren sie immer für sie da.
Während Ellie sich noch fragt, ob Pete und sie auch solche besonderen Menschen sind, findet ihr pragmatischer Mann die perfekte Metapher: Wer aus reparaturbedürftigen Häusern, die sonst keiner haben will, alles herausholt, der könnte sicher auch Kindern ein liebevolles Zuhause schenken. Und so treffen die Wagners die verrückte Entscheidung, sich von ihrem harmonischen Leben zu zweit zu verabschieden...
»I feel like babysitting someone else's kids.«
»Anfangs kommt es einem so vor, als würde man auf die Kinder anderer Leute aufpassen«, erinnert sich Regisseur Sean Anders, »nur dass sie nicht wieder gehen! Jeden Tag wird man mit neuen Anforderungen konfrontiert, die man nicht kommen sehen konnte. Es gibt nämlich keine Kurse, die einen darauf vorbereiten. Plötzlich ist man in der Verantwortung. Deshalb heißt unser Film auch Plötzlich Familie.
Meine Frau und ich hatten uns das Ganze jedenfalls anders vorgestellt, genau wie Ellie und Pete. Wir hatten jahrelang über Kinder gesprochen, und dann fühlte ich mich irgendwann zu alt, um noch Vater zu werden. Ich wollte nicht der alte Knacker sein, mit dem man nicht mehr Ball spielen kann. „Warum adoptieren wir nicht einfach einen Fünfjährigen?«, witzelte ich. „Dann ist es, als wäre ich schon vor fünf Jahren Papa geworden.“ Meine Frau meinte, das wäre gar keine so schlechte Idee. Damit hat alles angefangen.«
»Vieles, was Sean falsch gemacht hat, haben wir ins Skript eingebaut – eine super Quelle für Situationskomik«, berichtet Mitautor John Morris. »Seine Kinder sind allerdings so toll, dass wir das Ganze etwas ausschmücken mussten. Also haben wir den Teenager hinzugefügt. Das Vorbild für Lizzie ist eine fantastische junge Frau namens Maraide Green aus Los Angeles, die bei einer Pflegefamilie aufgewachsen ist. Ihre Geschichte hat uns so inspiriert, dass wir sie als Beraterin für unseren Film engagierten. Sie war auch bei den Dreharbeiten in Atlanta dabei.«
»Ich war dreizehn, als ich adoptiert wurde«, erzählt Maraide Green. »Bis dahin lebte ich die meiste Zeit in Heimen. Mit acht wurde ich meiner Mutter weggenommen, sie war drogensüchtig und ließ sich mit gewalttätigen Männern ein. Ich wurde von einer sozialen Einrichtung zur nächsten gereicht, dann zog ich erst mal wieder zu meiner Mutter. Das ging eine Zeit lang gut, bis sie rückfällig wurde.
So landete ich wieder bei der staatlichen Fürsorge und kam bei verschiedenen Pflegeeltern unter. Einmal dachte ich, sie würden mich adoptieren, aber daraus wurde dann doch nichts. Also schickte man mich zu einer anderen Familie, und diesmal klappte es. Endlich bekam ich Eltern, und vier Geschwister dazu. Inzwischen bin ich zwanzig und studiere an der UCLA. Das war immer mein Traum.«
Eine weitere wichtige Stütze des Projekts war Allison Maxon, Sozialarbeiterin im Kinship Center, das die drei Adoptivkinder von Sean Anders und seiner Frau betreute. »Allison brachte uns mit anderen Eltern zusammen, die ihre Pflegekinder später adoptiert haben«, erzählt John Morris. »Wir wollten beide Seiten hören, also sprachen wir sowohl mit den Eltern als auch mit den Kindern.« Frau Maxon unterstreicht noch einmal, wie nah die Höhen und Tiefen, die Pete und Ellie im Film durchleben, an der Wirklichkeit sind - nur dass es in der Realität (anders als im Drehbuch) leider oft an Humor fehlt.
Tatsächlich sind in vielen Szenen Familien mit Adoptivkindern als Statisten zu sehen. »Wir nutzten jede Gelegenheit, um Betroffene einzubinden – vor und hinter der Kamera«, sagt John Morris. »Bei Kindern in staatlicher Obhut greifen in Bezug auf die Persönlichkeitsrechte noch strengere Regeln - ob man sie fotografieren darf usw.«, führt Sean Anders aus. »Da sie leider nicht bei unserem Film mitmachen durften, wandten wir uns an Familien mit Adoptivkindern. Es war toll, so viele vor der Kamera zusammenzubringen.«
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Der Regisseur sagt, dass die Reaktion der Pflege- und Adoptionsgemeinschaft unglaublich war: »Es war, als hätten sie all die Jahre in einem Fuchsbau gekämpft, und mit diesem Film hoffen sie, dass endlich die Verstärkung kommt.« Und in der Tat zeigt der Film all die Höhen und Tiefen, die eine Adoptionsentscheidung mit sich führt. Sean Anders schafft die Gratwanderung zwischen Erziehungsdrama und Komödie, nicht zuletzt durch seine Schauspieler.
Insbesondere Isabela Moner, die zuletzt in Sicario 2 als verwöhnte Tochter des Drogenbarons zu sehen war, kann hier so richtig zeigen, was in ihr drin steckt. Auch sie schafft eine Gratwanderung - die zwischen nervendem Teenager und fürsorglicher Sympathisantin. Das Gute an der Sache war, dass sie bereits bei Transformers: The last Knight die Tochter von Mark Wahlberg gespielt hat. So wusste sie bereits, zumindest zum Teil, auf wen sie sich einlassen würde.
»Lizzy macht es Ellie und Pete wirklich nicht leicht«, sagt die aufstrebende Schauspielerin. »Die beiden sind überglücklich, wenn ich sie Mama oder Papa nenne, mich dagegen lässt das völlig kalt. Trotzdem muss das Publikum verstehen, dass Lizzy kein Biest ist, sondern im Grunde ein guter Mensch. Es gibt ja ein reales Vorbild für die Figur. Vieles, was dieses Mädchen erlebt hat, ist in den Film und meine Rolle eingeflossen.«
Mark Wahlberg erkennt aber auch einiges wieder: »Zu meinen Filmkindern habe ich auch abseits der Kameras eine echte Beziehung aufgebaut, ich konnte gar nicht anders. Ich habe selbst eine vierzehnjährige Tochter, und Isabela Moner alias Lizzy erinnert mich total an sie: die Attitüde, das Gezicke... Schon schräg, wie sich Filmwelt und Realität da vermischt haben. Aber umso mehr hat es mich berührt.«
Der Schauspieler arbeitete hier inzwischen zum dritten Mal mit Sean Anders zusammen, zuvor in den beiden Daddy's Home-Filmen - ebenfalls Familienunterhaltung, nur mit weniger ernstem Thema. Aber eines haben die Filme gemein - es dreht sich um Familie, Konfrontationen und Spaß - Markenzeichen, die man zu gut aus den 80er Jahren kennt. Kein geringerer als John Hughes diente dabei als Vorbild des Regisseurs.
»Eines der größten Dinge, die mir in meiner Karriere widerfahren sind, war, dass ich einmal anderthalb Stunde mit John Hughes telefoniert habe«, schwärmt Sean Anders. »Eines der Dinge, die er gesagt hatte, war: „Es geht nicht um die Größe des Lachers. Es geht darum, wie er sich anfühlt.“ Was er damit meinte, wie er weiter ausführte, war, dass man die Leute in einen Moment gefühlsmäßig einbringen kann, sich dann umdreht und sie zum Lachen bringt. Dieser Lacher fühlt sich so gut an.«
Zudem inspirierten den Regisseur Filme wie Zeit der Zärtlichkeit oder Besser geht's nicht, Eine Wahnsinnsfamilie oder Jerry Maguire - alle aus verschiedenen Gründen. Vermutlich kommt der Film genau deshalb so gemütlich herüber, ohne zu sehr in eine Richtung zu neigen. Es ist ein Film, der nicht nur Adoptionswillige anspricht. Man fühlt sich von Anfang bis Ende als ein Teil der Familie, die sich erst finden muss - genau der richtige Film für's Weihnachtsfest. Doch trotzdem Weihnachten auch hier kurz vorkommt, kann man den Film auch außerhalb der Saison sehen - ganz im Gegenteil zu Green Book, der ebenfalls diese Woche startet.
Mark Wahlberg ist ein Macher. Das liegt ihm vermutlich im Blut. Das erkennt man auch hier sofort wieder, wenn er das Werkzeug in die Hand nimmt, um die Häuser zu renovieren. Es ist immer toll, wenn man solch investierten Leuten bei der Arbeit zusehen kann. Vielleicht sollte er mal einen Film mit Tom Cruise drehen, nur um zu sehen, wieviel Testosteron dabei freigesetzt wird. Da kommt dann auch eine gewisse Schadenfreude auf, die man hier als Zuschauer gewinnt, wenn man sieht, wie Mark Wahlberg alias Pete Wagner hier an die Sache herangeht: Er stürzt sich in die Adoption mit derselben Energie, mit der er an sein Handwerk geht, erlebt dann aber immer mehr Rückschläge und sieht sich letztlich ausgepowert hilflos der Situation ausgeliefert.
Dass es dann doch noch zu einem glücklichen Ende kommt, verdankt man letzten Endes der realistischen Fundierung der Charaktere. Somit ist Plötzlich Familie auch genau der Film geworden, der er sein sollte: Hey, heute zeigen wir euch, wie man Kinder adoptiert! Und vermutlich wird der Film auch den einen oder anderen Zuschauenden, der an einem ähnlichen Punkt im Leben wie die Wagners angelangt ist, dazu verleiten, über Adoption nachzudenken. Lohnen würde es sich auf jeden Fall - für alle Beteiligten! ■ mz
13. Februar 2019
Komödie/Drama
USA 2018
118 min
mit
Mark Wahlberg (Pete Wagner)
Rose Byrne (Ellie Wagner)
Isabela Moner (Lizzy)
Gustavo Quiroz (Juan)
Julianna Gamiz (Lita)
Octavia Spencer (Karen)
Tig Notaro (Sharon)
Margo Martindale (Oma Sandy)
Julie Hagerty (Oma Jan)
Joan Cusack (Mrs. Howard)
u.a.
drehbuch
Sean Anders, John Morris
musik
Michael Andrews
kamera
Brett Pawlak
regie
Sean Anders
produktion
Paramount Pictures
Closest to the Hole
Leverage Entertainment
Two Grown Men
verleih
Paramount
vorspann
Logos
Inspired by a true Story
abspann
Titeleinblendung
Rücklaufender Vorspann mit Originalfotos
Normal rollender Abspann mit Originalfotos und Isabela Moner beim Singen des Abspannlieds
erwähnung
keine
USA 2018
118 min
mit
Mark Wahlberg (Pete Wagner)
Rose Byrne (Ellie Wagner)
Isabela Moner (Lizzy)
Gustavo Quiroz (Juan)
Julianna Gamiz (Lita)
Octavia Spencer (Karen)
Tig Notaro (Sharon)
Margo Martindale (Oma Sandy)
Julie Hagerty (Oma Jan)
Joan Cusack (Mrs. Howard)
u.a.
drehbuch
Sean Anders, John Morris
musik
Michael Andrews
kamera
Brett Pawlak
regie
Sean Anders
produktion
Paramount Pictures
Closest to the Hole
Leverage Entertainment
Two Grown Men
verleih
Paramount
vorspann
Logos
Inspired by a true Story
abspann
Titeleinblendung
Rücklaufender Vorspann mit Originalfotos
Normal rollender Abspann mit Originalfotos und Isabela Moner beim Singen des Abspannlieds
erwähnung
keine