Kinostarts Mai 2009
Der Junge im gestreiften Pyjama ist eine Fabel, die auf einzigartige Weise zeigt, wie unschuldige Menschen, insbesondere Kinder, in Kriegszeiten unter Vorurteilen, Hass und Gewalt leiden. Durch die Augen eines fantasievollen achtjährigen Jungen, der von der Realität des Krieges weitgehend abgeschirmt wird, sehen wir, wie sich zwischen Bruno, dem Sohn eines Nazikommandanten, und dem jüdischen Jungen Shmuel, dem Gefangenen eines Konzentrationslagers, eine verbotene Freundschaft entwickelt. Auch wenn die Leben der Jungen durch einen Stacheldrahtzaun physisch voneinander getrennt sind, so verflechten sie sich doch auf unausweichliche Weise.
Berlin, Anfang der 40er Jahre. Der achtjährige Bruno ist der behütete Sohn eines Nazioffiziers. Als sein Vater befördert wird, muss er mit seiner Familie aus dem gediegenen Zuhause in Berlin in eine trostlose Gegend umziehen, wo der einsame Junge keinerlei Ablenkung geschweige denn einen Spielgefährten findet. Von Langeweile und Neugier getrieben, schlägt Bruno die Anweisungen seiner Mutter in den Wind, er solle auf keinen Fall den Garten und den Wald hinter dem Haus erkunden.
So schleicht sich Bruno zu einer seltsamen Ansammlung von Gebäuden und Menschen, die er von seinem Zimmerfenster aus gesehen hat und die er zunächst für einen Bauernhof hält. Dort trifft er auf den gleichaltrigen Schmuel, der auf der anderen Seite eines hohen Stacheldrahtzauns lebt – der Beginn einer intensiven Freundschaft. Zuerst versteht Bruno nicht, was es mit dem Lager und seinen Bewohnern auf sich hat, aber dann beginnt er den Schrecken zu ahnen. Eines Tages will er sich Gewissheit verschaffen und gerät selbst in die Maschinerie der erbarmungslosen Lagerrealität.
»Selbstverständlich hat ein erzählerisches Werk, das zur Zeit und an den Orten des Holocausts spielt, etwas Kontroverses an sich, und jeder Schriftsteller, der so eine Geschichte anpackt, sollte vorher genau wissen, was er damit bezweckt. Für Kinderbücher gilt das wahrscheinlich besonders«, so John Boyne, Autor des gleichnamigen Bestsellers. »Für mich als 34-jährigen Iren gab es nur eine respektvolle Herangehensweise - nämlich Unschuld. Das heißt, ich erzählte eine Fabel aus dem Blickwinkel eines naiven Kindes, das unmöglich den Horror, in den es verstrickt ist, verstehen kann. Jemand aus meiner Generation vermag sich dank dieser Naivität dem Schrecken jener Zeit so weit wie möglich anzunähern.«
»Authentizität war extrem wichtig für uns«, so Regisseur und Drehbuchautor Mark Herman. »Als wir die Recherchen für unsere Adaption betrieben, erfuhr ich, dass die Lagerkommandanten unter einem Eid auf ihr Leben schwören mussten, ihre Aktivitäten geheim zu halten. Man verbot ihnen, auch nur einem Menschen, nicht einmal ihrer Familie, zu erzählen, worin ihre ‘Arbeit’ bestand. Das war vor allem für das Drehbuch wichtig, denn so ließ sich erklären, warum der Kommandant seiner Frau nichts von dem Vernichtungsprogramm verraten hatte - sie hält es für ein Arbeitslager und entdeckt die Wahrheit nur per Zufall.
Das heutige Publikum hat den Vorteil, die Historie zu kennen - vieles ist aus seiner Perspektive offensichtlich. Der moderne Zuschauer glaubt, dass die Frau mit Sicherheit eingeweiht war. Immerhin lebt sie neben einem Konzentrationslager. Aber nicht jeder hatte damals eine Ahnung von den wahren Vorgängen. Die Gattin des Kommandanten von Auschwitz zum Beispiel lebte sprichwörtlich oberhalb des Lagers, und erst nach zwei Jahren verstand sie, dass das ein Ort der Vernichtung war. Die Faszination unserer Geschichte besteht darin, dass diese Jungen auf beiden Seiten des Zaunes im Grunde nicht wissen, was vor sich geht.«
Koproduzentin Rosie Alison von Heyday Films klärt über einen historischen Fehler dieser Geschichte auf, ohne den sie nicht existieren würde: »Das kontroverseste Element in der Geschichte, bei dem wir unsere künstlerische Freiheit am stärksten nutzen mussten, ist Shmuels Anwesenheit im Konzentrationslager. Hier weichen Fakt und Fiktion am meisten voneinander ab. Denn es ist nunmal Tatsache, so unvorstellbar schrecklich das auch klingt, dass die meisten Kinder sofort nach ihrer Ankunft in den Tod geschickt wurden. Im Jahr 1944 allerdings gab es insbesondere in Auschwitz noch überlebende Kinder. Einige davon wurden für medizinische Experimente missbraucht, die anderen mussten spezielle Arbeiten ausführen. Es gibt das belegte Beispiel von zwei Jungen in Treblinka, die die Aufgabe hatten, die Enten im Teich zu füttern. Und so finden sich auch die berühmten Fotos von Kindern bei der Befreiung der Lager. Aber in der Regel wurden Minderjährige sofort von den Transporten in die Gaskammern gebracht.«
Trotz seiner Fiktivität erzählt der Film eine Familientragödie, die sich eingehend und erschreckend real mit dem Holocaust beschäftigt. Die Kostüme und der architektonische Stil der 40er Jahre unterstützen die Authentizität des Werkes. Auch die Schauspieler sind allesamt hervorragend, allen voran Hauptdarsteller Asa Butterfield, der mit seinem eindringlichen Blick die Neugier und Unschuld des Jungen widerspiegelt. Der Film versetzt den Zuschauer förmlich in die damalige Welt und wird seiner aufklärenden und mahnenden Aufgabe mehr als gerecht. ■ mz