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Vicco von Bülow
Dienstag, 23.8.2011 | Autor: mz

Liebe Leser, Loriot-Fans und was sonst noch so durch das weltweite Internetz fleucht! Wie bekannt wurde, setzte sich der allseits beliebte Karikaturist und Schauspieler gestern abend auf die himmlische Couch neben seine langjährige Kollegin Evelyn Hamann. Er wurde 87 Jahre alt.

Bernhard Victor Christoph-Carl von Bülow, kurz Vicco von Bülow, war den meisten Leuten bekannt als Loriot, der französischen Bezeichnung des Pirols, des Wappentieres der Familie von Bülow. In der mecklenburgischen Heimat des Adelsgeschlechtes aus dem Dorf Bülow bei Rehna ist „Vogel Bülow“ eine gängige Bezeichnung für den Pirol.

1954 erschien beim Schweizer Diogenes Verlag sein erster eigener Cartoonband „Auf den Hund gekommen“. 1959 hatte Loriot eine kleinere Rolle als Schauspieler in Bernhard Wickis Film Die Brücke. Die Rolle umfasste das mehrfache Sprechen des Codeworts „Bienenkorb“ ins Telefon. 1962 war er erneut mit einer Minirolle als Stabsfeldwebel in Andrew Martons Kriegsfilm Der längste Tag vertreten.

Loriot moderierte ab 1967 zunächst die Fernsehsendung Cartoon für die ARD, die er auch als Autor und Co-Regisseur verantwortete. Loriots anfänglich reine Moderation wurde zunehmend zu einem eigenständigen humoristischen Element der Sendung. Zudem brachte er eigene Zeichentrickfilme ein und verließ damit künstlerisch die engen Rahmenbedingungen, die das Medium Zeitschrift seinen Zeichnungen auferlegt hatte.

1971 erschuf Loriot mit dem Zeichentrick-Hund Wum ein Maskottchen für die Aktion Sorgenkind in der ZDF-Quizshow Drei mal Neun, dem er selbst auch die Stimme verlieh. Zu Anfang war Wum noch der treue Freund eines Männchens, des eigentlichen Maskottchens, dem er jedoch mehr und mehr die Show stahl und das er schließlich völlig verdrängte.

Weihnachten 1972 wurde Wum dann zum Gesangsstar: Mit von Bülows Sprechgesang in „Ich wünsch' mir 'ne kleine Miezekatze“ war er so erfolgreich, dass er für neun Wochen die Spitze der deutschen Hitparade belegte. Wum blieb auch in der Nachfolgesendung Der große Preis bis in die 1990er Jahre hinein als Pausencartoon erhalten, bald schon als Duo zusammen mit dem Elefanten Wendelin und später mit dem Blauen Klaus, einem Außerirdischen, der mit seiner fliegenden Untertasse einschwebte. Mit dem Ende von Der große Preis endeten auch die Abenteuer von Wum und Wendelin. Heute sind Wum und Wendelin auf der letzten Seite der Fernsehzeitschrift Gong zu sehen.

Nach Ende der Serie Cartoon produzierte der Sender Radio Bremen eine Sondersendung anlässlich des Besuchs der britischen Queen 1974 (Loriots Telecabinet), die bereits einiges vorwegnahm, was im Laufe des Jahrzehntes noch kommen sollte.

1976 entstand mit „Loriots sauberer Bildschirm“ die erste Folge der sechsteiligen Fernsehserie Loriot, in der er sowohl gezeichnete als auch selbst gespielte Sketche (letztere oft zusammen mit Evelyn Hamann) präsentiert. Diese Sketche wurden in Deutschland sehr populär, werden noch immer regelmäßig im Fernsehen wiederholt und sind inzwischen komplett auf DVD erhältlich.

Eine besondere Liebe verband Loriot mit der klassischen Musik und der Oper. 1982 dirigierte er das humoristische Festkonzert zum 100. Geburtstag der Berliner Philharmoniker, mit deren Geschichte er durch familiäre Beziehungen verbunden war. Seine Erzählfassung vom „Karneval der Tiere“ führte Loriot wiederholt mit dem Scharoun Ensemble auf, einem Kammermusikensemble von Musikern der Berliner Philharmoniker. Als Regisseur inszenierte Loriot die Opern „Martha“ und „Der Freischütz“.

Loriot gehörte dem im August 2004 in München aus Protest gegen die Rechtschreibreform gegründeten Rat für deutsche Rechtschreibung e. V. als Ehrenmitglied an. Im April 2006 gab er bekannt, sich als Fernsehschaffender zurückzuziehen, da seiner Meinung nach in diesem Medium wegen der entstandenen Schnelllebigkeit keine humoristische Qualität mehr zu erzielen sei.

Anlässlich seines 85. Geburtstages fand von November 2008 bis März 2009 im Filmmuseum Berlin die bislang größte Ausstellung zu seinem Werk statt. Am 3. Januar 2011 erschienen Wohlfahrtsmarken mit Motiven aus seinen bekannten Zeichentrickfilmen, darunter „Das Frühstücksei“ und „Herren im Bad“.

Loriot zeigte, dass in jeder normalen Alltagssituation etwas Absurdes steckt. Auch in seinen Filmen und Sketchen zeigte Loriot gewissermaßen die „Tapferkeit“ von Menschen, die in den verschiedensten Situationen nur durch ihre Höflichkeit eine Katastrophe (oder zumindest den destruktiven Ausbruch von Aggressionen) verhindern.

Einige Erfindungen und Formulierungen Loriots wurden im deutschen Sprachraum Allgemeingut. Dazu gehören das Jodeldiplom, die Steinlaus und der Kosakenzipfel, aber auch Sätze wie „Dann hab’ ich wirklich was Eigenes!“, „Bitte sagen Sie jetzt nichts...“, „Das ist fein beobachtet“, „Früher war mehr Lametta!“, „Ein Klavier, ein Klavier!“, „Das Bild hängt schief!“, „Männer und Frauen passen (eben) nicht zusammen!“ oder das lakonische „Ach (was)!“.

Er war auch ein großer Hundeliebhaber: »Ein Leben ohne Mops ist möglich, aber sinnlos«, sagte er gegenüber dem Stern. Loriot war auch einer der wenigen gesamtdeutschen Stars. Nach zahlreichen Gastauftritten in der DDR stellte er am 9. März 1988 als Doppelpremiere in beiden Teilen Berlins seinen Film Ödipussi vor. Diese vielfach ausgezeichnete Komödie gilt als einer der größten deutschen Filmerfolge.

In den Defa-Studios Potsdam-Babelsberg und an Originalschauplätzen in der (Noch-)DDR realisierte Loriot 1990 mit Pappa ante portas seine zweite Kinokomödie um einen überraschend pensionierten Manager, der seiner Frau (natürlich Evelyn Hamann) beim Haushalt unter die Arme greifen möchte, natürlich furchtbar damit auf die Nerven geht und ein kaum mehr zu bewältigendes Chaos erzeugt.

Für Freud lag die Triebfeder der Komik in der Entfesselung von Unsinn und die Entblößung von Verbotenem. Bei Loriot war das umgekehrt. Er entblößte den Unsinn und entfesselte das Verbotene, und man hätte gar nicht drüber lachen können, wenn Loriot nicht diesen untrüglichen Sinn für Timing gehabt hätte, mit einer Präzision, die so erzpreußisch war wie sein Stammbaum. Ruhe in Frieden, Vicco! ■

© SWR/Hugo Jehle
geburtsname:
Bernhard Victor Christoph-Carl von Bülow

geboren:
12.11.1923

gestorben:
22.8.2011

beruf:
Karikaturist, Regisseur, Schauspieler, Bühnen- und Kostümbildner

todesursache:
Herzversagen

bekannte werke:
Loriot
Evelyn und die Männer
Ödipussi
Pappa ante Portas

Im Gedenken an diesen großartigen Künstler ändert Das Erste heute Abend sein Programm: Zunächst wird um 22:45 Loriots Pappa ante portas zu sehen sein. Anschließend folgt mit Loriot - Eine Erinnerung eine Würdigung und ein Nachruf auf den großen deutschen Komiker, Regisseur und Autor, in dem prominente Kollegen wie Hape Kerkeling, Götz Alsmann u.a. zu Wort kommen. Gezeigt werden auch Szenen, Sketche und Karikaturen, die exemplarisch für Loriot und sein ganzes künstlerisches Schaffen stehen.

Ab 1:00 kann man sich noch einmal an 4 Folgen der Reihe Loriot von Radio Bremen erfreuen:

Von Steinläusen, Möpsen und Mäusen - Vom Ferienglück und einem Nudelproblem

Mit Loriot, Evelyn Hamann, Heinz Meier, Bernd Wiegmann, Edgar Hoppe u.a.

Ein Menü mit englischer Zunge, Kalbshaxe, Frühstück, Badewanne und Politik

Mit Loriot, Evelyn Hamann, Heinz Meier, Heiner Schmidt u.a.

Vom Jodeln, Flöten, Pfeifen, Fiedeln - Von Küssen und Kosakenzipfeln

Mit Loriot, Evelyn Hamann, Heinz Meier, Gerda Gmelin, Hans Kircher, Georg Hartmann, Mogens von Gadow u.a.

Vom Glück der Liebe, der Ehe und des Erinnerns

Mit Loriot, Evelyn Hamann, Ingeborg Heydorn, Marianne Koch u.a.

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