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Unser Sandmännchen wird Kinostar
Montag, 8.1.2010 | Autor: mz

Ein DDR-Relikt hält sich standhaft in der Medienlandschaft, und das, weil es den Leuten Schlafsand in die Augen streut. Jedes Kind und wohl nahezu jeder, der einmal Kind gewesen ist, kennt ihn. Für Viele ist das Sandmännchen die erste gesehene Fernsehsendung im Leben. Voriges Jahr wurde er 50 Jahre alt - höchste Zeit für einen Sprung auf die Leinwand.

Am 30. September 2010 ist es nun soweit. Unser Sandmännchen bekommt sein erstes Kinoabenteuer! Und damit die Leute im Kino nicht einschlafen, haben sich die Filmemacher eine ganz raffinierte Geschichte ausgedacht.

Weit oben hinter den Wolken liegt Somnia, das Traumland. Kein Flugzeug und kein Raumschiff können je dort hingelangen, der einzige Weg dorthin führt über die Träume und die Phantasie. Denn in Somnia wohnt der Sandmann mit dem Traumsand, jenem magischen Staub, den er uns Menschen seit jeher jede Nacht in die Augen streut, um uns schöne Träume zu bescheren. Dort wacht er – unterstützt von seinen fleißigen Schlafschafen – über unseren friedlichen und erholsamen Schlaf.

Doch Somnia ist in Gefahr! Dem Sandmann wurde der Traumsand gestohlen! Dahinter steckt der fiese Wirbelsturm Habumar, der allen Menschen schlechte Träume bringen will. Der Sandmann braucht Hilfe, und so schickt er das tolpatschige Schlafschaf Nepomuk mit einer wichtigen Mission auf die Erde: Nepomuk soll den furchtlosen Käpt’n Scheerbart aufspüren und zur Hilfe holen.

Aber statt des berühmten Seemannes bringt Nepomuk nur dessen sechsjährigen Enkel Miko mit nach Somnia. Nepomuk weiß nicht weiter, doch der Sandmann ist Experte und erkennt große Träumer, wenn sie vor ihm stehen. Er engagiert er den kleinen Miko als seinen Helfer, denn er ahnt, dass der schüchterne Junge das Zeug zum Helden hat. Gemeinsam ziehen sie los, um die Träume zu retten...

Der Sandmann ist ein gesamtdeutsches Kulturgut mit einer ganz besonderen Geschichte, die untrennbar mit der historischen Entwicklung Deutschlands in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verbunden ist. Die deutsche Teilung wurde auch vom Sandmännchen nachvollzogen, und so wuchsen Kinder in der Bundesrepublik zunächst mit einem anderen Sandmännchen auf als ihre Altersgenossen in der DDR.

Am 22. November 1959 hatte der Sandmann seinen Debütauftritt in der Puppentricksendung Unser Sandmännchen, die der Deutsche Fernsehfunk (DFF) in Ostberlin ausstrahlte. Nur wenige Tage später folgte das Westsandmännchen, produziert vom SFB: Die erste Folge von Sandmännchens Gruß für Kinder wurde am 1. Dezember 1959 gezeigt.

Das literarische Vorbild für den Sandmann, West wie Ost, war die Hauptfigur in Hans Christian Andersens Märchen „Ole Lukøje“, wörtlich übersetzt „Ole Augenschließer“, das 1841 erschien. In Andersens Original verwendet der schlafbringende Kobold allerdings keinen Sand, sondern süße Milch, von der er den Kindern ein wenig in die Augen sprüht. In Andersens Märchen erzählt Ole Lukøje dem kleinen Jungen Hjalmar vor dem Schlafen eine Woche lang jeden Abend eine Geschichte. Ole Lukøjes Rolle als Geschichtenerzähler wurde als Rahmenhandlung für die Sandmännchenfolgen übernommen.

Nachdem das Ostsandmännchen seine ersten Folgen erfolgreich absolviert und sich eine begeisterte Fangemeinde von Kindern erworben hatte, wurde die Figur im Sommer 1960 umgestaltet und in die Form gebracht, die sie bis heute behalten hat. Ab 1966 war das Sandmännchen erstmals auch in Farbe zu sehen.

Die große Popularität des Sandmännchens in der DDR führte dazu, dass es auch als Werbeträger genutzt wurde, so etwa für die Kinderzahnpasta „Putzi“. Das Sandmännchen war auch ein Exportschlager des DFF: Es war in weiteren europäischen Ländern, vor allem in Skandinavien, in mehreren arabischen Staaten sowie in Vietnam zu sehen. Der globale Erfolg seiner Abenteuer passt sehr gut zur Reiselust des Sandmännchens: Mit einer überwältigenden Vielfalt von Fortbewegungsmitteln hat es im Lauf seiner Karriere viele exotische Länder bereist: Auf Grönland fuhr er Hundeschlitten, in Ägypten ritt er auf einem Kamel und im Irak benutzte er einen fliegenden Teppich.

1961 flog das Sandmännchen erstmals mit einer Rakete ins All, 1967 hatte es sich bereits eine eigene Raumstation zugelegt, und 1973 landete es auf dem Mond. 1978 flog es auch ganz real in den Weltraum: Der erste Deutsche im All, der Kosmonaut Sigmund Jähn, hatte auf seinem Flug zur sowjetischen Raumstation Saljut 6 eine Sandmännchenpuppe dabei.

Miko und der Sandmann © rbb/Hanna Lippmann

Aber auch der irdische Fuhrpark des Sandmänchens ist beeindruckend – vom Mofa bis zum Flugzeug, von der Kutsche bis zum Solarmobil ist einfach alles dabei. Zu den treuesten Freunden des Fernseh-Sandmännchens gehören der Wicht Pittiplatsch, kurz Pitti genannt, die Ente Schnatterinchen, Herr Fuchs und Frau Elster, der Wasserkobold Plumps und der Hund Moppi, die alle in hunderten Folgen ihre lustigen Abenteuer erlebten.

Im Westen dagegen waren völlig andere Figuren die Helden der Gute-Nacht-Geschichten, wie z. B. die Schweine Piggeldy und Frederick, der Clown Peppinello, Weltraum-Petra und ihr Onkel Oti und diverse Figuren der Augsburger Puppenkiste wie der Tintenfisch Klecksi, der Ritter Kunibert, Peppi und sein Großvater Beppo, die auf einem Berg leben. Der Fuhrpark des Westsandmännchens beschränkte sich, im Gegensatz zu seinem äußerst mobilen Ostpendant, im wesentlichen auf eine Wolke mit Segel, auf der es angeschwebt kam, einen Hubschrauber und auf ein Flugzeug, dessen Design einem Porsche-Rennwagen der 60er Jahre nachempfunden war.

Auch die Sandmännchenpuppen unterschieden sich deutlich voneinander: Das Westsandmännchen hatte eine runde Kopfform und trug eine weiße Zipfelmütze einen Bommel oder eine blaue Schirmmütze, dazu eine weiße Jacke und karierte Hosen. Das Ostsandmännchen war schmaler im Gesicht, trug eine einfache rote Zipfelmütze und eine ebenfalls rote Jacke – seine Frisur war ein Pony in Richtung Topfdeckelschnitt; das Haar des Westsandmännchen war derweil in einen modischen Seitenscheitel gelegt. Und auch beim Gesichtshaar gab es Unterschiede im Styling: Das Ostsandmännchen begnügte sich mit einem einfachen Kinnbart, der Bart des Westsandmännchens dagegen reichte über die Wangen bis hinauf zu den Ohren.

Auch die Lieder des West- und des Ost-Sandmännchens waren nicht dieselben. Im Osten begann jede Sendung mit folgendem Sandmannlied:

„Sandmann, lieber Sandmann,
es ist noch nicht so weit!
Wir sehen erst den Abendgruß,
ehe jedes Kind ins Bettchen muß,
Du hast gewiss noch Zeit.
Sandmann, lieber Sandmann,
hab' nur nicht solche Eil!
Dem Abendgruß vom Fernsehfunk
lauscht jeden Abend alt und jung,
Sei unser Gast derweil.“

Und sie endete mit einer weiteren Strophe:

„Kinder, liebe Kinder,
das hat mir Spaß gemacht!
Nun schnell ins Bett und schlaft recht schön,
dann darf auch ich zur Ruhe gehn.
Ich wünsche euch gute Nacht.“

Die Kinder im Westen dagegen wurden so begrüßt:

„Kommt ein Wölkchen angeflogen,
schwebt herbei ganz sacht
und der Mond am Himmel droben
hält derweil schon Wacht.
Abend will es wieder werden,
alles geht zur Ruh
und die Kinder auf der Erde
machen bald die Äuglein zu.
Doch zuvor, von fern und nah
ruft’s: Das Sandmännchen ist da!“

Woraufhin das Sandmännchen die Geschichte mit den Worten „Nun liebe Kinder, gebt fein acht, ich hab euch etwas mitgebracht“ einleitete. Die Verabschiedung fiel im Westen mit „Auf Wiedersehn und schlaft recht schön“ eher knapp aus.

Im Zuge der Wiedervereinigung stellte der DFF zum Jahresende 1991 seinen Sendebetrieb ein. Die Produktion des Sandmännchens ging auf die Nachfolgesender ORB und SFB über, die 2003 zum rbb fusionierten. Gleichzeitig erzählte das Ostsandmännchen nunmehr seine Gute-Nacht-Geschichten für Kinder in ganz Deutschland – dass das Ostsandmännchen „gesamtdeutsch“ wurde und die Produktion des Westsandmännchens eingestellt wurde, ist einer der ganz wenigen Fälle neben dem grünen Pfeil für Rechtsabbieger, in denen im vereinten Deutschland Östliches auf den Westen übertragen wurde. Von 1992 an zeigten auch mehr und mehr weitere Dritte Programme der ARD die Sandmännchenfolgen, 1997 kam auch der Ki.Ka hinzu. Seit 1999 ist zum reinen Puppentrick auch digitale Animation als Technik der Sandmännchenfilme dazugekommen.

In einer Mischung aus der altbekannten Stop Motion, Animation, CGI und Realspiel produziert die scopas medien AG in Zusammenarbeit mit dem rbb, mdr, NDR und Ki.Ka den Film Der Sandmann und der verlorene Traumsand, der im Herbst die Kleinen und die Großen verzaubern soll. Wir dürfen also gespannt sein. ■

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