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Lie to me - Interview mit Dr. Paul Ekman
Mittwoch, 10.3.2010 | Autor: mz

Dr. Paul Ekman ist amerikanischer Psychologe und einer der führenden Wissenschaftler auf dem Gebiet der Wahrnehmungsforschung. Der emeritierte Professor der University of California San Francisco hat bis heute 15 Bücher veröffentlicht, darunter des Buch „Gefühle lesen“, das die Grundidee zur Serie Lie to me lieferte.

Ekman selbst arbeitete zeitweise als Berater für Polizei und Regierung. Für die Serie steht er als wissenschaftlicher Ratgeber zur Seite und veröffentlichte jüngst zusammen mit dem Dalai Lama das Buch „Gefühl und Mitgefühl“.

Dr. Ekman, Sie stehen für die Serie Lie to me beratend zur Seite. Wie sieht genau Ihr Tätigkeitsbereich aus?

Ich lese jedes Skript der Serie Lie to me, gebe Ratschläge und kritisches Feedback. Normalerweise geht es um die spezifischen Ausdrücke oder Gesten oder andere Anzeichen für Lügen in der Serie, die ich kommentiere, wenn ich glaube, dass es eine bessere Lösung gäbe oder dass sie völlig realitätsfern sind.
Jede Folge geht durch fünf Skriptphasen. Der größte Teil meines Feedbacks bezieht sich auf die erste Phase, aber ich lese auch jeden späteren Entwurf, um zu sehen, was man geändert hat und ob sie meine Vorschläge angenommen haben oder nicht. In der Regel nimmt die Produktion etwa 80 Prozent von dem auf, was ich anmerke und manchmal fragen sie mich dann: »Haben Sie auch Fotos von bekannten Leuten, die den gesuchten Gesichtsausdruck ausstrahlen?« In solchen Fällen gebe ich der Produktion zusätzlich noch Ansichtsmaterial, das sie verwenden können.
Mein letzter Arbeitsschritt ist dann, mir ca. zwei Wochen vor Ausstrahlung eine DVD der Sendung anzusehen und darüber in meinen Blog „The Truth of Lie to Me: Separating the Science from the Fiction“ zu schreiben. Den Blog findet man auf der FOX-Internetseite und auf meiner. Im Ganzen würde ich sagen, dass die Arbeit für die Serie etwa ein Drittel meiner gesamten Arbeitszeit in Anspruch nimmt.

Wie haben Sie angefangen, in Menschen und Äußerungen gleichsam zu „lesen“?

Oh, da gibt es so viele verschiedene Antworten. Ich mache das schon so lange. Ich habe als Fotograf angefangen und habe einige meiner Bilder in Museen ausgestellt. Dann dachte ich: ,Wäre es nicht toll, wenn ich wissenschaftlich arbeiten könnte und die Regierung meine Kameras bezahlen würde?'. Das war also einer der Gründe.
Und ich war sehr interessiert an Psychologie. Das war ein weiterer Grund. Und als ich dann in diesem Gebiet anfing zu arbeiten, wurde mir klar, dass bisher alles ignoriert worden war, was nicht mit Worten gesagt wurde. Mir war allerdings nicht klar, dass es eine solch lange Zeit in Anspruch nehmen würde, dieses Themenfeld zu beleuchten und Forschungen anzustellen.
Über das Thema Täuschung, worum es in Lie to me geht, habe ich vor vierzig Jahren meine erste Arbeit in einem Wissenschaftsmagazin veröffentlicht. Ich fing außerdem an, in dem Themenfeld zu forschen, weil mich einige Ärzte fragten, wie sie herausfinden könnten, ob ein Selbstmordpatient lügt oder die Wahrheit sagt, wenn sie sagen: „Ich fühle mich viel besser. Kann ich am Wochenende therapiefrei bekommen?“.
Es hat mich 20 Jahre gekostet, das herauszufinden. Aber wenn man einmal anfängt, über das Lügen nachzudenken, dann merkt man, dass sie in allen Lebensbereichen vorkommen. Das zeigt auch die Serie. Und ich glaube, dass es eine der Stärken der Serie ist, dass es sich weder um eine reine Krimiserie, noch um eine Anti-Terror-Serie oder eine Wirtschaftsserie handelt, und es ist auch keine Beziehungsserie. Die Szene, der Fall, ändert sich immer wieder. Und das kommt daher, dass folgenschwere Lügen in allen Bereichen unseres Lebens vorkommen. Die Hauptfigur Dr. Cal Lightman hat dabei eine viel höhere Trefferquote als ich.
In Amerika startete kürzliche eine Sendung mit dem Titel Crocodile Tears. Darin geht es um Menschen, die öffentlich nach ihren vermissten Kindern oder Ehepartnern suchen - und am Ende stellt sich raus, dass sie sie selber entweder gekidnappt oder ermordet haben.
Man zeigte mir damals vier dieser Menschen in den Videos der Pressekonferenzen. Und nicht nur über eine dieser Personen, sondern über drei von ihnen, musste ich sagen: »Ich bin nicht sicher, ob sie lügen oder die Wahrheit sagen.« Nur bei einer war die Antwort ganz offensichtlich, bei einer Frau namens Matthews. Direkt am Anfang konnte ich sagen: »Sie lügt. Sie sagt nicht die Wahrheit.« Es gab etwa fünfzehn verschiedene Anzeichen für ihr Lügen.
In Lie to me gibt es bereits eine Folge, in der es um eine Mutter geht, die, zwar nicht wirklich im Sinne von Kidnapping, aber in einer gewissen Weise kriminell gegenüber ihres Kindes agiert. Solche Geschichten beziehen sich auf Vorfälle, die man aus den Nachrichten kennt. Einige der Geschichten in der Serie basieren aber auch auf Dingen und Erfahrungen, von denen ich der Produktion erzählt habe.

Schauen Sie also jeden Tag die Leute an und versuchen herauszufinden, ob sie lügen? Ist das etwas, das Sie an- und abschalten können oder passiert das immer, wenn Sie mit Leuten reden?

Wenn man das einmal gelernt hat, dann kann man es nicht mehr abschalten. Die Serie dreht sich zum Ende der ersten Staffel auch genau darum, wie sich das auf Dr. Lightmans Leben auswirkt. Seine Ehefrau bringt es auf den Punkt und beschwert sich: »Warum kannst du nicht die Dinge einfach mal so lassen, wie sie sind?«
Ich persönlich interessiere mich nicht für Alltagslügen. Ich sehe die nicht einmal wirklich als Lügen an, weil wir nicht erwarten, dass die Menschen beim Pokern ehrlich sind, oder wenn sie versuchen, ihr Grundstück zu verkaufen. Oder wenn sie uns erzählen, wie sehr sie den Abend genossen haben.
Meine Frau hat mir mal gesagt, dass ich, wenn sie sich ein Kleid kauft, nie sagen soll: „Die Farbe gefällt mir nicht. Der Schnitt gefällt mir nicht.“ Nein, ich soll sagen: „Sieht toll aus!“ Das ist es, was sie von mir hören will. Ernsthafte Lügen, Lügen, die schwere Folgen haben können, wenn jemand die Wahrheit erfährt – das ist es, was mich interessiert. Diese Lügen kommen nicht so häufig vor. Und wenn sie vorkommen, dann kann es natürlich auch sein, dass ich sie nicht bemerke. Und wenn jemand in meiner Familie lügt, dann thematisiere ich das nicht. Ich nehme die Lüge zur Kenntnis.
Meine Tochter glaubt manchmal, mir etwas zu erzählen, was ich noch nicht weiß. Sie weiß mittlerweile, dass das nicht so ist. Aber als sie fünfzehn oder sechzehn war, wusste sie das noch nicht. Ich wusste, wann sie mir etwas verheimlicht hat, dass sie z.B. nicht bei ihrer Freundin gewesen war, sondern woanders. Aber das habe ich nie zu einem Streitthema der Familie werden lassen.

Funktioniert das auch anders herum? Können Sie Menschen beibringen, die Anzeichen zu verbergen?

So arbeite ich nicht. Ich betreibe keine Schule für Lügner. Firmenmanager haben mich diesbezüglich schon angesprochen und auch Politiker – wie kann ich ihnen helfen, glaubhafter zu werden? Und ich habe geantwortet: Damit will ich nichts zu tun haben. Meine Arbeit hat damit zu tun, wie man einen Lügner ausfindig macht, nicht, wie man einer wird.

Beobachten Sie auch Politiker?

Ja, immer. Mir macht das Spaß, und ich habe die wahrscheinlich größte Sammlung von Präsidentenlügen in meiner Bibliothek stehen. Aber ich bewerte nie jemanden, während er oder sie im Amt sind oder sich dafür bewerben. Wenn aber jemand abgewählt worden ist, dann schaue ich schon mal genauer hin. Ich bewerte auch niemanden, der mitten in einem Gerichtsverfahren ist. Es gibt viel Interessantes über jemanden zu sagen, wenn seine Verhandlung abgeschlossen ist. Aber es ist schon eine ziemlich komplizierte Frage, ob man etwas sagen soll oder nicht. Die einzigen Lügen, die uns etwas angehen, sind, glaube ich, die, die nicht in nationalem Interesse, sondern aus politischen Motiven heraus entstehen. Das wird missbilligt.

Haben Sie das Gefühl, dass sich einige Menschen von einem Gespräch mit Ihnen abschrecken lassen?

Was den Leuten Sicherheit gibt ist, wenn ich ihnen sage, dass ich nur bewerten kann, wie sie sich fühlen, nicht aber ihre Gedanken lesen kann. Davor haben die Leute Angst – ihre Gedanken! „Sie werden meine Gedanken lesen. Alle diese schlimmen Dinge, die ich plane, über die ich nachdenke und die mich in Versuchung führen.“ Aber die werden eigentlich gar nicht deutlich.

Was sind die Anzeichen, auf die man achten muss, wenn man herausfinden will, ob jemand lügt?

Ich nenne ihnen jetzt die wichtigste Sache, und sie werden ziemlich enttäuscht sein. Man muss auf Diskrepanzen achten. Die Worte passen zum Beispiel nicht zur Stimmlage, oder sie passen, aber der Gesichtsausdruck wiederum nicht. Inkongruenzen sind es, und davon gibt es keine besonders geeignete. Das Gesicht ist wahrscheinlich die stärkste Quelle, aber unsere Forschungen haben gezeigt, dass es nicht ausreicht, nur das Gesicht zu betrachten. Wenn man die Stimme außer Acht lässt oder die Gesten, die Wortwahl und die Körperhaltung, dann erfasst man nur 75 Prozent und man bemerkt ein Viertel der Lügner nicht. Man muss also auf alles achten. ■

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