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vincent will meer - Florian David Fitz im Interview
Mittwoch, 28.4.2010 | Autor: mz

Der Münchener Florian David Fitz wurde 1974 geboren. Von 1994 bis 1998 studierte er Schauspiel am renommierten Boston Conservatory und schloss mit Magna cum laude ab. Anschließend tourte er mit dem Musical „Rocky Horror Picture Show“ durch Europa und war dann auf der Bühne des Münchener Volkstheaters zu sehen.

Im Fernsehen spielte er ab dem Jahre 2000 in zahlreichen Filmen und Serien. Publikum und Kritik überzeugte Fitz im Jahre 2006 endgültig in seiner Rolle als Götz in Stefan Holtz’ Fernsehfilm Meine verrückte türkische Hochzeit, für den er mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet wurde.

Ab 2008 sicherte er sich als großmäuliger Macho Dr. Marc Meier in der RTL-Arztserie Doctor’s Diary eine breite Fanbasis. Dafür wurde er 2008 für den Deutschen Fernsehpreis nominiert. 2009 wirkte er in Friedemann Fromms Emmy-prämierten ZDF-Dreiteiler Die Wölfe mit.

Im Kino war er im letzten Jahr als erfolgreicher Werbefachmann Niklas in Simon Verhoevens Publikumserfolg Männerherzen zu sehen und wurde dafür für den Bambi nominiert.

Von seiner Cousine Ariela Bogenberger bekam er den Tipp, sich bei der Drehbuchwerkstatt München zu bewerben. Dort ist auch Viola Jäger, die Produzentin der Produktionsfirma Olga Film, als Tutorin tätig. Jäger und Fitz kannten sich bereits von ihrer gemeinsamen Arbeit zu Mädchen, Mädchen 2, wo er bereits mit Karoline Herfurth spielte.

Als sie sich auf einem Empfang der Drehbuchwerkstatt München zufällig begegneten, wollte sie sein Drehbuch unbedingt lesen. Viola Jäger war daraufhin sehr beeindruckt: »Es ist selten, dass man als Produzent so ein ungeschliffenes Juwel in die Hände bekommt. Da war sehr gründliche Vorarbeit geleistet worden«, erinnert sie sich. Nun wurde das Drehbuch verfilmt - mit Florian David Fitz in der Hauptrolle...

Wie kommt ein gut beschäftigter Schauspieler dazu, ein Drehbuch zu schreiben? Waren Sie nicht ausgelastet?

Damals nicht. Im Winter gibt es ja immer lange Zeiten, wo man nicht arbeitet, was auch relativ normal ist. Nach zwei Wochen brennt es mir dann unter den Fingernägeln. Zweitens habe ich da ganz egoistisch gedacht: Ich würde gerne mal was schreiben, das ich dann eventuell auch spielen kann.

Wie ging die Arbeit am Drehbuch direkt vonstatten?

Ich habe mich bei der Drehbuchwerkstatt München beworben, wurde genommen und habe es über das Jahr geschrieben. Du brauchst das Feedback, einen Widerpart und da hast du natürlich gleich 20 Leute, darunter die Tutoren, die das lesen. Dann trifft man sich alle sechs Wochen und jedes Stadium wird dann auseinandergerissen und kritisiert. Das ist schon hart, weil es immer sehr persönlich ist, aber wenn du als Schauspieler nicht mit Kritik umgehen kannst, dann hast du ein Problem.
Meine Tutorin war Bettina Ricklefs vom Bayerischen Rundfunk, und das war das Beste, was mir passieren konnte. Mein Ziel war immer, auf Messers Schneide zu bleiben, also einen Ton zwischen Poesie und böser Realität und zwischen fiesem, derbem Humor aber dann auch wieder einer Zartheit zu finden. Sie hat mich sehr unterstützt, da weiter zu machen.

vincent will meer erinnert an Knockin’ on heaven’s door...

Knockin’ on heaven’s door drängt sich wegen der Reise zum Meer natürlich auf. Ich habe auch lange damit gekämpft, ob man das nicht einfach rausschmeißt, weil es vielleicht zu ähnlich ist. Aber das Meer ist ja ein Topos in ganz vielen Filmen, und für mich war das einfach perfekt, weil Vincent es nicht kennt.
In Knockin’ on heaven’s door ist das Meer der Sehnsuchtsort des einen Reisenden. Vincent hingegen will zum Meer, um der Mutter den Wunsch zu erfüllen, aber vor allem auch, um dem Vater zu beweisen, dass er etwas schafft, dass er ein vollwertiger Mensch ist. Es ist ein äußerliches Ziel. Am Ende versteht man, dass für seine Entwicklung etwas ganz anderes wichtig war, nämlich die Reise und nicht das Ziel.

Wie sind Sie auf das Tourettesyndrom gekommen?

Als ich in Boston auf der Schauspielschule war, hatten wir einen Lehrer mit Tourette. Er hatte keine schlimmen vokalen Tics, sondern eher motorische. Der hat sich ganz selbstverständlich vor die Klasse gestellt und gesagt: „So, Kinder, ich habe Tourette. Wenn ich euch blöd anmache oder anschaue, dann ist das nicht so gemeint.“ Am Anfang guckst du natürlich, aber tatsächlich gewöhnt man sich relativ schnell daran.

Davor wussten Sie überhaupt nichts von diesem Syndrom?

Doch, eine ungefähre Vorstellung hatte ich davon, aber den Namen kannte ich überhaupt nicht. Mein direkter Impuls, es zu thematisieren, war ein TV-Bericht über einen jungen Mann, der auch ganz schlimme Autoaggressionen hatte. Mit Mitte Zwanzig musste er wieder zu seinen Eltern ziehen.
Alles war bei ihm mit Schaumstoff abgedeckt und er hatte einen Helm auf. Da habe ich mir gedacht: Wie krass muss das sein, wenn jemand unter diesen erschwerten Umständen zu einer Selbstakzeptanz kommt und sagt: Ich lerne eine gewisse Souveränität. Und da ist Tourette ja zunächst einmal ein Symbol für alles, was dich an den Rand der Gesellschaft stellt.

© Constantin Film

Steht am Ende des Films auch die Erkenntnis, dass man sich die Akzeptanz auch für sich selbst erkämpfen muss?

Der Fehler bei Vincent ist, glaube ich, dass er sich von Anfang an die Akzeptanz von anderen erkämpfen will: Was seine Mutter ihm hinterlassen hat, was sein Vater will. Egal ob er ihm trotzt - er definiert sich immer über den Widerstand gegen ihn, oder ob er etwas für seine Mutter tun will. Das machen wir ja alle so. Wir versuchen, uns über andere Leute „geliebt“ zu machen. Die simple Erkenntnis am Ende bleibt, dass du erst mal Frieden mit dir selber machen musst, bevor du jemand anderen lieben kannst. Das muss auch Vincent mit Marie lernen.

Weil sie die Probleme leugnet...

Das geht einfach nicht. Und das war die zweite Grundidee: Was ist die erwachsenste Entscheidung, die ein Mensch treffen kann? Ich hatte einen Fall in meiner Verwandtschaft, die Mutter war Alkoholikerin. Die Tochter hat irgendwann sagen müssen: Ich muss sie gehen lassen. Ob sie sich totsäuft oder leben will: Es ist ihre Entscheidung. Bei Menschen, die man liebt, ist es die schwerste Entscheidung zu akzeptieren, dass du ihnen nicht helfen kannst, wenn sie selber nicht den ersten Schritt machen.
Im Film haben sich Vincent und seine Mutter zusammen eingeigelt und bis zum Schluss hat er ihr die Hand gehalten. Dann trifft er genau so eine Person mit Marie wieder und muss begreifen, dass er ihr nicht helfen kann. Das ist das Bitterste auf der Welt, aber er trifft am Ende diese wahnsinnig erwachsene Entscheidung, zu sagen: Ich lasse dich los und hoffentlich wird’s. Vielleicht stehst du auf, dann bin ich da.

Haben Sie das nervöse Lachen beim Zuschauer mit einkalkuliert, als Sie die Figur des Vincent angelegt haben?

Ich glaube, dass die Leute am Anfang des Films bei dieser ersten Szene in der Kirche nicht wirklich wissen, ob sie lachen dürfen oder nicht. Das ist auch gut so. Meine Angst war, auch im Spiel später: Wie stark kann man das Tourette dosieren, ohne dass der Zuschauer es nach einer halben Stunde nicht mehr aushält? Ich habe mir gewünscht, dass man am Anfang schockiert ist und es am Ende vergessen hat.
Ich glaube das ist ein Supereffekt, von dem Tourettebetroffene vielleicht profitieren könnten. Was so wahnsinnig anstrengend ist, ist die erste Reaktion. Dafür können die Leute ja nichts. Aber trotzdem haben Tourettekranke jeden Tag tausend erste Reaktionen auf sich. Bei den Leuten, die sie kennen, ist es anders. Da kann man das ausblenden und da lässt man dann locker.

Wie haben Sie sich auf die Rolle vorbereitet?

Beim Schreiben habe ich mit Tourettebetroffenen gesprochen und natürlich wahnsinnig viele Filme angeschaut. Den Durchbruch für das physische Finden hatte ich, als ich in der S-Bahn zum Zahnarzt gefahren bin. Da habe ich gedacht: Jetzt probiere mal mit kleinen Ticks, ob die Leute reagieren. Das haben sie aber überhaupt nicht! [lacht]
Dann habe ich gemerkt, dass man tatsächlich innen drin Impulse hat, zu ticken und kann das auch nachvollziehen. Tourette hat ja anscheinend damit zu tun, dass bestimmte Hemmschwellen im Gehirn runtergedimmt sind. Wenn du aber guckst, sind diese Impulse da, und wenn du dem nachgehst, kann es auch mehr werden. Als Kind macht man auch einige Dinge, die nicht gleich Tourette sind, Grimassen zum Beispiel – das ist ja am Anfang auch fließend: Was ist jetzt ein Tick, was ist eine blöde Angewohnheit?

War das Experiment S-Bahn dann erst einmal abgeschlossen?

Ja, aber ich hatte es ein bisschen in mir drin. Ich bin die Straße entlanggegangen und habe es probiert, einfach um zu gucken, was mit mir passiert. Aber ich kann es natürlich nicht wirklich nachvollziehen, weil ich den Luxus habe, einfach aufhören zu können, wenn ich möchte.

In der RTL-Serie Doctor’s Diary spielen Sie einen Verführer, als Vincent einen Außenseiter, in Männerherzen einen Kontrollfreak. Müssen Sie Ihre Figuren mögen, um sie zu spielen?

Ja, aber das kommt von selber, glaube ich. Das heißt nicht, dass ich jemanden, der ein absolutes Arschloch ist, nicht mögen kann. Das kann ja auch ganz toll sein. Das Publikum liebt zum Beispiel Richard III. Eine Figur, die man selber nicht mag – da hat man ein Problem.

Könnten Sie auch einen besonders perfiden Nazi spielen?

Du musst trotzdem die Figur in sich stimmig finden und nachvollziehen können. Als Bruno Ganz den Hitler gespielt hat, da musste er sich die ganze Zeit verteidigen. Aber Hitler hat doch von sich selbst nicht gedacht, dass er ein Monster ist. Also kann der Schauspieler nicht konstant die richtige moralische Warte einnehmen. Das kann ich nicht spielen.
Schauspielen ist per se nicht ein moralischer Beruf, sondern die Moral kommt ja danach. Wenn du Hitler gut spielst und die Leute wieder irgendwas kapieren über diese Zeit, dann ist das ist doch viel klüger und viel moralischer, als die Rolle abzulehnen. ■

Medien und Tabus Khans Reise