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Oskar und die Dame in Rosa - Interview mit Michèle Laroque
Montag, 18.10.2010 | Autor: mz | Quelle: Kinowelt

Michèle Laroque, geboren am 15. Juni 1960 in Nizza, zählt zu den erfolgreichsten französischen Filmschauspielerinnen. Die Tochter eines Franzosen und einer rumänischen Tänzerin studierte nach dem Abitur Englisch und Wirtschaftswissenschaften, nahm parallel dazu Schauspielunterricht und besuchte eine Zeit lang die Universität von Austin, Texas. 1979 wurde sie bei einem Autounfall so schwer verletzt, dass sie sich im Verlauf der nächsten zwei Jahre zwölf Operationen unterziehen musste. Als Folge ihres Traumas beschloss sie nach ihrer Genesung, Schauspielerin zu werden.

1981 zog sie nach Paris und etablierte sich schnell als vielbeschäftigte Bühnendarstellerin. Ihr Fernsehdebüt erfolgte 1988 in einer erfolgreichen Sketchserie. Ein Jahr später drehte sie mit Suivez cet avion ihren ersten Kinofilm. Ihre Rollen wurden von Engagement zu Engagement bedeutender, und es war schließlich die Erfolgsregisseurin Coline Serreau, die ihr mit Die Krise 1992 zum Durchbruch verhalf.

Für namhafte Filmemacher wie Patrice Leconte, Gérard Jugnot, Michelle Deville, Claire Devers und Claude Sautet stand sie daraufhin vor der Kamera, und nach ihrem Auftritt als verklemmte Spießerin in dem Komödienhit Auch Männer mögen's heiß war sie in ganz Frankreich bekannt. Für diese Rolle erhielt sie eine César-Nominierung als beste Nebendarstellerin.

Am Theater feierte Michèle Laroque in den späten 90er Jahren an der Seite des beliebten Komikers und Bühnenautors Pierre Palmade große Erfolge in modernen Boulevardkomödien. Im Kino war sie in dieser Zeit an der Seite der größten männlichen Stars zu sehen, darunter Gérard Depardieu, Daniel Auteuil und Gérard Jugnot.

Als sie 1997 in Mein Leben in Rosarot die Mutter eines kleinen Jungen spielte, der ein Mädchen sein möchte, leitete sie eine sanfte Kurskorrektur ein und übernahm zunehmend auch ernste Rollen. Dennoch feierte sie in den nächsten zehn Jahren mit den Komödien Serial Lover – Der letzte räumt die Leiche weg , Ein Mann sieht rosa und Endlich Witwe ihre wohl größten Triumphe.

Laroque, die auch als Drehbuchautorin und Produzentin wirkt, brachte 1995 eine Tochter zur Welt und ist derzeit mit François Baroin liiert, dem Haushaltsminister der französischen Regierung.

Eric-Emmanuel Schmitt erzählt, dass er die Adaption seiner Erzählung „Oskar und die Dame in Rosa“ für Sie geschrieben hat. Wussten Sie das?

Ja. Noch bevor er mit dem Schreiben anfing, bot Eric-Emmanuel mir die Rolle an. Er sagte, dass eine Alternative für ihn nicht in Frage käme. Und deshalb habe ich ihm sofort restlos vertraut. Ich hatte das Buch zwar schon gelesen, doch als ich zusagte, hatte ich keinen blassen Schimmer, wie die Figur der Rose im Film aussehen würde. Ich wusste nur, dass Eric-Emmanuel sie verjüngen wollte. Eine solche Figur spielen zu dürfen, ist eines der schönsten Geschenke, die man als Schauspielerin erhalten kann.

Fühlten Sie trotzdem ein gewisses Unbehagen, als Sie mit der Lektüre des Drehbuchs begannen?

Nein. Ich war total zuversichtlich. Von Anfang an haben sich bei diesem Film Dinge ereignet, die absolut magisch waren. Ein Eindruck, der sich bestätigte, als ich den fertigen Film zum ersten Mal sah. Oskar ist umwerfend! Ich weiß nicht, von welchem Planeten dieser Junge stammt.

Wie sind Sie die Rolle der Dame in Rosa angegangen?

Ich beschloss, sie wie ein neugieriges Kind zu spielen, das sich mit einem anderen Kind unterhält. Als Rose Oskar zum ersten Mal sieht, erzählt er ihr, dass er den Vormittag in einem Wandschrank verbracht hat, und sie fragt: „War's nett?“ Erwachsene reagieren normalerweise nie so. Ich finde es sehr wichtig, dass wir uns das Kindliche bewahren. Denn es kann schwierige Situationen entdramatisieren, und es hilft uns, das Leben von der fröhlichen, unbekümmerten Seite zu nehmen.

Wenn man eine Figur spielt, die mit so starken Situationen konfrontiert wird, fällt es einem da leicht, richtig zu spielen, nicht zu übertreiben?

So lange man echte Gefühle empfindet und ehrlich spielt, gibt es kein Vertun. Das gilt für jede Art von Gefühl, ob lachen oder weinen. Als Schauspielerin komme ich ja von der Komödie, und wenn Komödianten eines gemeinsam haben, dann ein ausgesprochenes Schamgefühl. Die Gefahr, dass wir es mit den Gefühlen übertreiben oder uns darin suhlen, gibt es bei uns nicht. Außerdem nähert sich Eric-Emmanuel dem Thema auf so tröstliche, leichte, fast schon unbeschwerte Weise.

Wie verliefen die Dreharbeiten?

Ich hatte die ganze Zeit den Eindruck, als müsste ich nicht viel leisten. Alles schien so selbstverständlich. Eine Figur zu spielen, die bestimmte Gefühle empfinden muss, bedeutet normalerweise viel Arbeit. Schließlich muss man die Emotionen irgendwoher holen. Doch diesmal musste ich mich eigentlich nur zügeln.

© SIPA

In letzter Zeit spielen Sie immer öfter Figuren, die ein breites Gefühlsspektrum abdecken – wie zum Beispiel die Dame in Rosa.

Das stimmt. Inzwischen habe ich einfach weniger Hemmungen, mich meiner kolossalen Überempfindlichkeit zu stellen, und ich kann besser damit umgehen. Mit 20 oder 30 wäre mir das nicht gelungen. Zum Glück bietet man mir diese Rollen, in denen ich mich gefühlsmäßig ausleben kann, aber erst heute an.

Half es Ihnen, dass Sie bereits in Alain Berliners Mein Leben in Rosarot mit einem Kind gespielt hatten?

Ja – und natürlich die Tatsache, dass ich Eric-Emmanuel vertraute. Ich wusste, dass er ein ganz wunderbares, außergewöhnliches Kind für die Rolle des Oskar finden würde. Der kleine Amir ist unglaublich intelligent!

Was für ein Regisseur ist Eric-Emmanuel Schmitt?

Er besitzt eine Menge Selbstvertrauen. Und er ist ein sehr ruhiger, sehr sanfter Mensch. Außerdem arbeitet er zielgerichtet und weiß ganz genau, was er will. Aber er kann auch prima zuhören und respektiert die Meinungen der anderen. Darüber sprach ich mit dem Produktionsdesigner Jean-Jacques Gernolle, der zu mir sagte: »Es ist schon verrückt, welchen Freiraum er uns gewährt!« Der Stoff stammt von ihm, er kennt ihn in- und auswendig, er hat das Buch geschrieben, hat davon geträumt. Ängste waren ihm keine anzumerken, auch kein Stress oder innere Anspannung. Wenn uns irgendein Dialog mal nicht einleuchtend erschien, erklärte Eric-Emmanuel auf bewundernswerte Weise, wie wir es besser machen könnten. Das habe ich nur bei wenigen Regisseuren erlebt.

Erzählen Sie von Ihrer Begegnung mit Max von Sydow!

Das war etwas Besonderes. Schließlich ist es eine große Ehre, an seiner Seite spielen zu dürfen. Er ist ein sehr aufmerksamer und großzügiger Kollege. Unsere Zusammenarbeit machte viel Spaß. Am Set sagte er zu mir: Ist es nicht fabelhaft, Michèle, einen Film zu drehen, von dem wir wissen, dass er ganz außergewöhnlich sein wird? Halten Sie die Erinnerung daran wach, denn das erlebt man selten. Wenn ein Schauspieler vom Kaliber eines Max von Sydow so etwas zu dir sagt, verleiht es Flügel!

Er hat mir zwar nie verraten, was er von meiner Rollengestaltung hielt oder von unseren gemeinsamen Szenen. Aber er vertraute es Eric-Emmanuel an, der es mir weitererzählte, und das machte mir Mut. Obwohl ich nicht gerade von Selbstzweifeln geplagt bin, empfinde ich meinem Beruf gegenüber durchaus Demut. Wenn ich in einem Film mitspiele, gebe ich immer restlos alles. Trotzdem weiß ich, dass mir manche Dinge nicht gelingen. Mit meiner Arbeit bin ich selten rundum zufrieden. Deshalb tut es gut, wenn andere einem Mut machen – erst recht jemand wie Max von Sydow.

Wie bedrückend ist es, wenn man Szenen mit einem sterbenden Kind spielen muss?

Das war es ganz und gar nicht! Die Dialoge sind ausgesprochen beruhigend, und das macht alles leichter, zerstreut potentielle Ängste. Was Rose zu diesem Kind sagt, soll nicht nur ihm, sondern auch ihr selbst Trost spenden. Die Weisheit des Films lässt Pathos gar nicht erst aufkommen und konterkariert die Gedanken, die wir normalerweise mit Tod und Krankheit verbinden. Unser Film hat etwas extrem Tröstliches.

Machte es Ihrem inneren Kind Spaß, eine Catcherin zu spielen?

Und wie! Diese Szenen sind wie ein Comic. Der ehemalige Direktor des „Cirque du Soleil“ war daran beteiligt, und er hat Wunderbares geleistet.

Aufgrund des technischen Aufwands handelte es sich vermutlich um die schwierigsten Szenen überhaupt?

Das kann man wohl sagen. Wir steckten in einem Studio in Kanada, die Tage nahmen kein Ende, und draußen herrschten Temperaturen von minus 30 Grad! Aber diese Kostüme zu tragen und mit diesen fabelhaften Akrobaten zu arbeiten, war lustig. Ich fand es toll!

Inzwischen haben Sie den fertigen Film gesehen. Ihre Reaktion?

Die Chance, eine solche Figur spielen zu dürfen, bietet sich in der Karriere einer Schauspielerin nur sehr selten. Oskar und die Dame in Rosa ist ein Film mit einer tröstlichen Botschaft, ein unbeschwerter Film, der Ängste nimmt und glücklich macht. Und wenn es etwas gibt, das mich im wahren Leben glücklich macht, dann, eine solche Botschaft zu verbreiten. ■

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