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Gainsbourg - Stationen seines Lebens
Mittwoch, 26.10.2010 | Autor: mz | Quelle: Prokino

Gainsbourg wird am 2. April 1928 unter dem Namen Lucien Ginsburg als Kind russisch-jüdischer Einwanderer in Paris geboren. Seine Mutter Olia bestellt den Haushalt und kümmert sich um die Kinder. Lucien hat eine ältere Schwester, Jacqueline, und eine Zwillingsschwester, Liliane. Vater Joseph ist Pianist. Er spielt abends in Bars und Kabaretts und probt tagsüber zu Hause. Lucien erhält von ihm eine klassische Klavierausbildung.

1939 verlässt die Familie wegen eines Engagements des Vaters vorübergehend ihr Pariser Quartier und zieht in die Normandie. Vom Ausbruch des Krieges zwischen Deutschland und Frankreich bekommt Lucien zunächst gar nichts mit. Als die Ginsburgs im Sommer 1940 zurückkehren, ist Paris von den Deutschen besetzt, die neue Regierung sanktioniert den Antisemitismus. Joseph kann jedoch weiter in Paris arbeiten.

Lucien erhält Unterricht an der Kunstschule Montmartre. Aus den Kursen in Aktmalerei wird er wegen seines Alters (Er ist gerade mal dreizehn!) ausgeschlossen. Ab 1942 erhebt die Regierung das Tragen des Judensterns für alle jüdischen Einwohner zur Pflicht. Ab acht Uhr abends gilt eine Ausgangssperre für Juden. Damit verliert der Vater seine Arbeit. Die Familie zieht in den Südwesten des Landes und kehrt erst 1944 nach der Befreiung von Paris zurück.

1945 bricht Lucien die Schule ab und erklärt, Künstler werden zu wollen. Sein Vater meldet ihn an der renommierten École des Beaux-Arts an. Er lernt verschiedene Surrealisten kennen. In Künstlerkreisen begegnet er auch seiner ersten Frau: Elisabeth Lewitsky, eine russische Aristokratin, die als Model arbeitet. Sie nimmt Lucien mit in die Wohnung von Salvador Dalí, dessen exzentrische Inneneinrichtung ihn stark beeindruckt.

Da er sein Kunststudium nicht zielstrebig verfolgt, legt sein Vater ihm nahe, sein Geld mit der Musik zu verdienen. Er engagiert einen Mann aus dem fahrenden Volk, der ihm das Gitarrespielen beibringt. Anschließend spielt Lucien für Geld auf Festen und Partys. 1948 geht er für zwölf Monate zur Armee.

1951 folgt die Heirat mit Elisabeth. Die beiden beziehen ein gemeinsames Appartment. Lucien gibt Kindern von Holocaust-Überlebenden Kunstunterricht in einem Internat und studiert parallel weiter an der Kunstakademie. Zudem vertritt er seinen Vater hin und wieder bei Auftritten in Bars und Nachtklubs und findet Gefallen an dieser Art des Geldverdienens.

1954 beantragt er die Aufnahme in die französische Songschreibervereinigung und lässt die ersten eigenen Songs registrieren. Dabei beschließt er, seinen Namen von Lucien Ginsburg in Serge Gainsbourg zu ändern. Er gibt das Kunststudium und die Malerei auf, pflegt das Leben eines Bohemien. 1957 folgt die Scheidung von Elisabeth. Er zieht zurück in die Wohnung seiner Eltern.

Er erhält ein regelmäßiges Engagement im Nachtklub „Milord“, wo er den Schriftsteller Boris Vian kennenlernt. Dessen Auftritte eröffnen ihm ganz neue Perspektiven für das Schreiben eigener Songs. Auch die Sängerin Michèle Arnaud lernt er dort kennen, die 1958 erstmals Songs von Serge Gainsbourg auf einer Pariser Bühne vorträgt.

Denis Bourgeois, ein Produzent der Plattenfirma Philips, bietet Serge seinen ersten Plattenvertrag an. Somit ist er, im Alter von 30 Jahren, bei demselben Label unter Vertrag wie die französischen Stars Juliette Gréco, George Brassens und Jacques Brel. Im September 1958 veröffentlicht er sein erstes Album: „Du chant à la une!“, über das Boris Vian einen begeisterten Artikel veröffentlicht. Das Album wird dennoch kein Erfolg.

1959 lädt Juliette Gréco ihn in ihre Wohnung ein. Sie ist auf der Suche nach begabten jungen Songschreibern für ihr Comeback nach einer mehrjährigen Auszeit. Gainsbourg ist so nervös, dass er ein Glas Whiskey umstößt, doch die Gréco findet trotzdem Gefallen an seiner Musik. Die LP „Juliette Gréco chante Serge Gainsbourg“ erscheint und befördert Gainsbourgs Popularität.

Er erhält erste Filmangebote und wird in den folgenden Jahren immer wieder kleinere Rollen als Schauspieler annehmen. Ende 1959 erscheint Gainsbourgs zweites Album: „Gainsbourg No. 2“. Im Folgejahr schreibt er seine erste Filmmusik, der im Laufe seines Lebens Dutzende folgen werden. 1961 wird Gainsbourgs drittes Album veröffentlicht: „L’Éotonnant Serge Gainsbourg“, auch dieses bringt nicht den ersehnten großen Durchbruch. Amerikanische und englische Musiker erobern die Hitparaden in ganz Europa. Der Siegeszug des Rock ’n’ Roll und des Twist ist in vollem Gange.

Gainsbourgs viertes Album „No. 4“ erscheint 1962, im gleichen Jahr wie „Love me do“ von den Beatles. Angesichts des weiterhin geringen Erfolgs beschließt Gainsbourg, seine nächste Platte in London aufzunehmen: 1963 erscheint „Vilaine Fille, Mauvais Garçon“. Zahlreiche Songs daraus werden von bekannten Größen wie Petula Clark, Brigitte Bardot oder Juliette Gréco nachgesungen, das Album selbst verkauft sich enttäuschend.

Serge lernt die schöne, besitzergreifende Béatrice, mit bürgerlichem Namen Françoise Antoinette Pancrazzi, kennen. 1964 heiratet er Béatrice. Sie stammt aus einer reichen Familie, liebt den Luxus und reagiert äußerst eifersüchtig auf Serges weibliche Fans. Mit ihr bekommt er zwei Kinder: Natacha (geb. 1964) und Paul (geb. 1968).

1965 gewinnt die junge France Gall mit einer Interpretation seiner Komposition „Poupée de Cire, Poupée de Son“ den Grand Prix Eurovision de la Chanson. Dieser Erfolg verschafft Gainsbourg auch bei den jungen Yé-yé-Fans (den französischen Anhängern der Beatmusik) Popularität und fördert seine Karriere gewaltig. Ab 1966 verlegt er sich verstärkt auf Popmusik und wird damit zunehmend erfolgreich.

Serge avanciert zu einem begehrten Hitschreiber, um den sich immer mehr schöne, erfolgreiche Sängerinnen scharen. Da seine Ehefrau mit Eifersucht reagiert, verlässt er sie. Bald darauf kommt es zur Scheidung. Gainsbourg schreibt zahlreiche Songs für andere Künstler und nimmt seine nächsten Platten auf. Eine äußerst produktive Zeit beginnt. Parallel arbeitet er weiter für den Film.

1967 zieht er, nach vorübergehenden Aufenthalten in Hotels, einer WG und einem Künstlerheim zurück in die elterliche Wohnung. Im selben Jahr kommt es zur Begegnung mit Brigitte Bardot, die schon seit den 1950er-Jahren ein internationaler Star ist und auch bereits einige von Gainsbourg geschriebene Songs aufgenommen hat. Eine leidenschaftliche Liebesaffäre beginnt, in deren Verlauf Serge zahlreiche neue Lieder für sie schreibt.

Die B.B. ist zu dieser Zeit mit Gunter Sachs verheiratet, weshalb sie die Affäre zunächst verheimlicht. Serge und Brigitte spielen verschiedene Songs ein, darunter „Harley Davidson“ und „Bonnie & Clyde“. Den im Winter 1967 aufgenommenen Song „Je t’aime ... moi non plus“, der schon vor Erscheinen zum Skandal wird, zieht Bardot noch vor der Veröffentlichung zurück. Kurz darauf kehrt sie zu ihrem Ehemann zurück. Serge Gainsbourg bleibt unglücklich in Paris zurück, genießt aber fortan nicht nur die Aufmerksamkeit der Boulevardpresse, sondern auch den Ruf eines großen Verführers.

Gainsbourg stürzt sich in die Arbeit und produziert als Hommage an die Bardot „Initials B.B.“. 1968 macht er gleichzeitig in zwei verschiedenen Studios Aufnahmen. Auch seine Filmarbeit nimmt er wieder auf. Bei den Dreharbeiten für den Film Slogan von Pierre Grimblat lernt er die junge Britin Jane Birkin kennen, die 1966 in ihrer Rolle als Fotomodell in Antonionis Blow up ihren Durchbruch hatte. Birkin hat bereits eine Ehe mit dem Komponisten John Barry hinter sich, aus der ihre Tochter Kate hervorgegangen ist.

Serge behandelt sie zunächst mit Herablassung, doch im Verlauf ihrer gemeinsamen Arbeit nähern die beiden sich einander immer mehr an und werden schließlich ein unzertrennliches Liebespaar. Die Titelmelodie von Slogan erscheint 1969 als Single. Es ist Jane Birkins Debüt als Sängerin. Mit ihr zusammen nimmt Serge bald darauf „Je t’aime ... moi non plus“ noch einmal auf. Der Song wird wegen seiner offenen Erotik zu dem Skandalsong schlechthin und macht Gainsbourg mit einem Schlag reich.

Als nächstes veröffentlicht Gainsbourg sein Konzeptalbum „Histoire de Melody Nelson“, mit dem er international seinen Rang als Musiker zementiert. Zahlreiche andere Musiker lassen sich von diesem Werk inspirieren. In dieser Zeit verändert er sein Outfit und zeigt sich fortan gern mit längeren Haaren, legerer gekleidet und unrasiert.

Das Haus in der Rue de Verneuil Nr. 5, das er seit Langem für sich umbauen lässt, wird endlich fertiggestellt. Die Einrichtung ist nach dem Vorbild Salvador Dalís ganz in Schwarz gehalten. Dorthin zieht er nun mit Jane. Die gemeinsame Tochter Charlotte kommt 1971 zur Welt. Jane macht weiterhin erfolgreich Filme, Serge komponiert, unter anderem Songs für Françoise Hardy, Juliette Gréco und France Gall, und übernimmt ebenfalls kleinere Filmrollen.

Im Mai 1973 erleidet Serge Gainsbourg, der im Alter von 13 Jahren mit dem Rauchen angefangen hat, einen Herzinfarkt. Auch im Krankenhauszimmer kann der Kettenraucher nicht von seiner Sucht lassen. Da die Presse von seinem Zustand keine Notiz nimmt, lädt er einen Journalisten ein, ihn am Krankenbett zu besuchen. Nach der Entlassung arbeitet und raucht er weiter wie zuvor. Eine neue Platte entsteht - „Vu de l’Extérieur“.

1975 erscheint „Rock around the Bunker“, ein provozierendes Album, das sich humorvoll mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzt und zum kommerziellen Misserfolg wird. Nachdem auch sein neues Projekt, der Film Je t’aime ... moi non plus floppt, weil er als zu pornografisch gilt, wendet Gainsbourg sich dem Drehen von Werbefilmen zu.

In einer Pariser Galerie entdeckt er eine Skulptur, die ihn fasziniert: Claude Lalannes „L’Homme à Tête de Chou“ – Der Mann mit dem Kohlkopf. Er erwirbt sie und lässt sich von ihr zum gleichnamigen Album inspirieren, das 1977 erscheint, eine abgeschlossene Geschichte erzählt und ein großer Erfolg wird.

Mit seiner nächsten Platte „Aux Armes et Cætera“ geht er das Wagnis ein, den Reggae nach Frankreich zu bringen, wo diese Musikrichtung bis dahin noch keine Rolle spielt. Im September 1978 fliegt er nach Kingston auf Jamaika, um dort mit den besten und bekanntesten Reggaemusikern zu arbeiten.

Doch auch dieses neue Werk enthält eine Provokation: eine Reggaeversion der Marseillaise! Die französischen Zeitungen reagieren empört, doch die französische Jugend ist begeistert und hebt das Album in die Hitparaden. Davon ermutigt plant er eine Frankreichtournee mit den jamaikanischen Musikern.

Die extreme Rechte Partei in Frankreich schäumt und versucht alles, um dieses Vorhaben zu torpedieren. Gainsbourg trotzt dem Widerstand von rechts und eröffnet seine Tournee in Straßburg, indem er ohne seine jamaikanischen Mitstreiter auf die Bühne geht und die Originalversion der Marseillaise anstimmt. Danach wird er in Frankreich wie ein Held gefeiert.

1980 kommt es zur Trennung von Jane Birkin. Jane verlässt den zunehmend trunksüchtigen Serge, nachdem sie bei Dreharbeiten den Regisseur Jacques Doillon kennengelernt hat. Der Verlassene ist tief enttäuscht, stürzt sich aber wieder in die Arbeit.

Im selben Jahr veröffentlicht er seinen ersten und einzigen Roman: „Evguénie Sokolov“ (unter dem Titel „Die Kunst des Furzens. Das explosive Leben des Evgenij Sokolov“ 1988 erstmals auf Deutsch erschienen), der von der Kritik kaum wahrgenommen wird. Aber auch an Musikaufträgen mangelt es nicht. Er schreibt unter anderem die Filmmusik zu Claude Berris Film Je vous aime mit Catherine Deneuve und übernimmt auch eine kleine Nebenrolle darin.

1981 lernt Gainsbourg die junge Caroline von Paulus, genannt Bambou, kennen. Das 21-jährige Model wird seine neue Lebensgefährtin. Auf den Bahamas nimmt Gainsbourg sein zweites Reggaealbum auf: „Mauvaises Nouvelles des Ètoiles“. Es enthält „Ecce homo“, den Song, in dem er erstmals die Figur Gainsbarre vorstellt - sein cooles, kettenrauchendes Alter Ego, das sich über Gainsbourg lustig macht.

1984 wird für ihn zu einem Jahr der Skandale: Den ersten entfacht er, als er während eines Fernsehauftritts einen 500-Franc-Schein anzündet. Kurz darauf nimmt er das Album „Love on the Boat“ in den USA auf. Ein Titel daraus, „Lemon Incest“, den er gemeinsam mit der 13-jährigen Charlotte performt, löst den nächsten Eklat aus: Ein Teil der Öffentlichkeit fällt auf die Provokation herein und unterstellt ihm, er vergehe sich an seiner Tochter. Und im selben Jahr ereignet sich auch der berühmte Zwischenfall mit der jungen Whitney Houston, der er in einer Liveshow im französischen Fernsehen sturzbetrunken ein unmoralisches Angebot macht.

1986 kommt Lucien Gainsbourg, genannt Lulu, der gemeinsame Sohn mit Bambou, zur Welt. Gainsbourg schreibt daraufhin seinen ersten Song für ihn: „Lulu“. 1987 nimmt er seine zweite Platte in Amerika auf: „You’re under Arrest“, ein Rap-Album. In seinen öffentlichen Auftritten wirkt Gainsbourg zunehmend von seiner Alkoholsucht gezeichnet und stark gealtert.

1989 erscheint die CD-Box „De Gainsbourg à Gainsbarre“, die neun CDs mit über zweihundert Stücken aus seiner Karriere enthält. Gainsbourg wird wegen gesundheitlicher Probleme mehrmals im Krankenhaus behandelt. Nach einer Leberoperation gibt er vorübergehend das Trinken auf, fängt aber wieder damit an, während er Songs für eine Platte für die junge Vanessa Paradis schreibt.

Anschließend verfasst er ein Drehbuch: „Stan the Flasher“, das er 1990 mit Claude Berri in der Hauptrolle selbst verfilmt. Bertrand Blier beauftragt ihn mit der Filmmusik zu „Merci la Vie“, dem neuesten Film seiner Tochter Charlotte. Für den März 1991 ist die Aufnahme einer Bluesplatte in New Orleans geplant. Am 2. März 1991 stirbt Serge Gainsbourg in Paris an einem Herzstillstand. ■

Alle Informationen stammen aus:
Sylvie Simmons: Serge Gainsbourg. Für eine Hand voll Gitanes.
JSV Jens Seeling Verlag, Frankfurt am Main 2007
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