Das Magazin - Interviews & Berichte
Winter's Bone - Interview mit Debra Granik
Mittwoch, 30.3.2011 | Autor: mz | Quelle: Ascot Elite

Debra Granik besuchte das Graduate Film Program an der New Yorker Universität, wo sie für ihren Kurzfilm Snake Seed 1997 ausgezeichnet wurde. Danach nahm sie sowohl am Writer’s Lab als auch am Director’s Lab des Sundance Institute teil und entwickelte dabei das Drehbuch für eine Langfassung von Snake Seed.

Die Premiere von Debras erstem Spielfilm Down to the Bone fand beim Sundance Film Festival 2004 statt, wo sie den Preis für die beste Regie gewann. Down to the Bone wurde daraufhin weltweit auf Filmfestivals gezeigt und erhielt unter anderem den Preis der internationalen Kritik bei der Viennale.

2010 beendete sie ihren zweiten Spielfilm, Winter's Bone, der auf dem Sundance Filmfestival den Großen Preis der Jury und den Waldo Salt Drehbuchpreis verliehen bekam.

Aus welchen Gründen wollten sie Winter's Bone fürs Kino adaptieren?

Ich habe Winter's Bone in einem Zug durchgelesen, was schon lange kein Buch mehr bei mir geschafft hat. Ich wollte unbedingt wissen, wie dieses Mädchen Ree überleben wird. Es fühlte sich wie eine altmodische Geschichte an, mit einer ganz eigenen Atmosphäre und einer Hauptfigur, der ich einfach die Daumen drücken musste. Außerdem bekomme ich sonst nie die Chance, mir ein Leben wie das von Ree vorzustellen, dessen Umstände nichts mit meiner eigenen Situation zu tun haben.

Wie haben Sie bei der Vorbereitung des Films mit dem Autor Daniel Woodrell zusammengearbeitet?

Produzentin Anne Rosellini und ich besuchten Daniel Woodrell in seiner Heimat im südlichen Missouri und gemeinsam unternahmen wir eine erste Erkundungstour. Katie Woodrell, Daniels Frau, organisierte für uns Treffen mit Sängern, Erzählern, Volkskundlern und allen möglichen Wissenschaftlern und Fachleuten, die sich mit der Ozark-Kultur beschäftigen. Des weiteren hatten wir auch ein informatives und bewegendes Gespräch mit dem Sheriff, der uns die Methamphetamin-Problematik der letzten zwei Jahrzehnte erläuterte.

Nach diesem Besuch waren wir sehr begeistert. Uns wurde aber auch klar, dass wir für die nächsten Schritte einen Einheimischen brauchten, der uns vorsichtig und respektvoll in die dortige Gemeinschaft einführen würde. Wir wollten die Leute ja nach und nach überreden, mit uns zusammenzuarbeiten.

Erzählen Sie uns von der Zusammenarbeit mit Jennifer Lawrence...

Jen hat sich wirklich auf diese Rolle eingelassen. Sie setzte ihre Kenntnisse aus ihrer Heimat Kentucky ein und ihre Familie half ihr bei den ganzen Aktivitäten, die sie beherrschen sollte - Jagen, Holzhacken undsoweiter. Sie brachte auch die passende Aussprache für den lokalen Dialekt mit. Das Drehbuch enthielt für unsere Ohren sehr fremde Ausdrücke, doch Jen waren einige aus ihrer Kindheit vertraut.

Als sie vor dem Beginn der Dreharbeiten in Missouri eintraf, arbeitete sie eng mit den realen Vorbildern und der Familie zusammen, auf deren Grundstück wir drehten. Sie lernte die Bedienung der Geräte, kannte die Namen aller Hunde und freundete sich mit den Kindern an. Manchmal improvisierte sie auch oder probte mit den Kindern, damit sie sich wohlfühlten. Jen ist sehr engagiert, so dass sie ständig lernt, Neues aufnimmt und sich herausfordert.

Wie würden Sie die Figur der Ree beschreiben?

Ich sehe sie als eine Löwin, die ihren Stolz bewahren möchte. Gleichzeitig ist sie aber auch ein Teenager, der hilflos mitansehen muss, wenn Erwachsene in ihrer Nähe tödliche Entscheidungen treffen und einen Lebensweg einschlagen, der sie hinunterzieht und zerstört. Sie kann nicht allzu viel tun, um ihren Dad von Methamphetamin loszubekommen oder ihrem Onkel bei seiner Drogensucht und seinem Nihilismus zu helfen. Trotzdem ist sie ihnen eng verbunden. Sie darf es ihnen nur nicht gleichtun.

Wie so viele Filmhelden, muss auch Ree kämpfen. Wir erleben sie nicht allzu oft als normalen Teenager. Beispielsweise darf sie nie mit ihrer Freundin Gail lachen oder mit Jungs flirten. Während der ganzen Geschichte kennt sie nur ein Ziel. Dabei akzeptiert sie „Nein“ nie als Antwort, und ich liebe solche Figuren. Denn ich möchte wissen, wie sie diese Situation löst. Und ich frage mich: Warum gibt sie nicht auf, woher kommt ihre Entschlossenheit?

Wie haben Sie die lokalen Darsteller kennengelernt und was haben Sie getan, um eine realistische Umgebung zu schaffen?

Zu Beginn suchten wir eine Familie, deren Lebensumstände denen im Buch möglichst ähnlich sind. Voraussetzung war: Sie musste uns in ihr Haus lassen und ihre Kleidung, ihre Gebrauchsgegenstände und ihr Abendessen zeigen. Wir mussten ihnen auch beim Jagen oder ihrem Umgang mit den Tieren zusehen dürfen. Schließlich fanden wir dann geeignete Kandidaten samt Nachbarn, die bereit waren, unsere Fragen zu beantworten und uns ihr alltägliches Leben zu offenbaren.

Um das Gefühl einer natürlichen Umgebung zu vermitteln, drehten wir ausschließlich vor Ort auf dem Grundstück der Familie. Die Kostümabteilung tauschte Kleidungsstücke mit Einheimischen, die bereit waren, neue Arbeitskleidung gegen getragene einzuwechseln. Da viele Rollen mit Menschen aus der Umgebung besetzt wurden, verfügten wir außerdem über Leute, die die Aussprache korrigieren konnten und uns auch sonst vor falschen Entscheidungen bewahrten.

© Roadside Attractions

Was waren die Herausforderungen, die durch die Thematik des Films bedingt waren?

Herausforderungen entstehen alleine schon durch die Arbeit weit weg von Zuhause. Zuerst einmal ist die Kommunikation anders. Es wurde auch ein Anwalt angestellt, damit wir nicht unabsichtlich etwas übersehen oder die Leute verärgern. Wir brauchten Hilfe bei allen Herausforderungen, mit denen Stadtleute in einer ländlichen Umgebung konfrontiert sind.

Berglandschaften werden ja von Außenstehenden gerne stereotyp dargestellt. Der Ausdruck „Hinterwäldler“ wird oft abwertend für die Bewohner ländlicher Regionen verwendet und macht eine differenzierte Betrachtung in der Regel unmöglich. Unsere Hauptfragen drehten sich um einige unauslöschliche Vorurteile:

Was genau ist ein Hinterwäldler im Gegensatz zu einer Person, die im Bergland lebt? Was bedeutet es, wenn Abfälle im Hof liegen? Wenn der Betrachter allein nur den Hof sieht, interpretiert er ihn als heruntergekommen. Für uns war klar, dass wir die Besitzer kennenlernen mussten. Letztendlich ist das nämlich nur eine Familie, die versucht, hier zu bestehen.

Man kann unmöglich in eine Region mit einer so reichen Geschichte und Tradition fahren, ohne mit Symbolen, Klischees, Stereotypen und Empfindlichkeiten in Konflikt zu geraten. Die Herausforderung besteht dann darin, zu einer Erzählform zu gelangen, die solche Stereotypen in Frage stellt und althergebrachte Inhalte mit neuen Elementen ergänzt.

Zum Beispiel mussten wir mit dem Klischee kämpfen, dass die Bergkultur mit schwarz gebranntem Alkohol und Meth in Verbindung bringt. Das Banjo wiederum ist selbst 35 Jahre nach Beim Sterben ist jeder der Erste ein aufgeladenes Symbol. Auf unseren Reisen in den Süden Missouris wurde dies indes keineswegs bestätigt. Immer wieder haben wir hier Banjos auf sehr poetische Weise erlebt, und deshalb landete dieses Instrument als Zeichen von Hoffnung und Durchhaltevermögen im Film.

Warum haben Sie in Missouri gedreht?

Die Geschichte ist so tief in Missouri verwurzelt, dass alles andere die Wirkung des Films beeinträchtigt hätte. Für den Autoren Daniel Woodrell ist seine Region seine Muse. Es war notwendig, nah am Ort des Geschehens zu bleiben. Ebenso mussten die Schauspieler, die Rees Verwandte spielten, aus der Gegend kommen. Wir wollten den örtlichen Dialekt, in Rees Worten: „so authentisch wie ein frisch geschmiertes Butterbrot“.

In einem frühen Stadium wollten wir den Produktionsfirmen einen Gefallen tun und dort drehen, wo man uns Steueranreize bot. Woodrell hatte uns schon seinen Segen für das schroffe Vorgebirge des Hinterlands von New York gegeben. Er meinte, dass diese Region Ähnlichkeit mit dem Ozark-Terrain hätte. Wir interessierten uns auch für entlegene Gebiete in Pennsylvania und anderen Staaten, die alle tolle Bilder geliefert hätten, doch immer wieder hörten wir den Ruf Südmissouris. Das Ende vom Lied war schließlich, dass uns der Staat Missouri ein sehr ordentliches Programm auflegte – mit ganz konkreten Steueranreizen.

Ihre Filme Winter's Bone und Down to the Bone handeln beide von Frauen, die gegen sehr schwierige Situationen kämpfen. Fühlen Sie sich von so etwas angezogen?

Ich fühle mich von Figuren angezogen, die versuchen müssen, das Puzzle ihres Lebens zusammenzubauen. Oft geht das nicht ohne harte Entscheidungen. Doch genauso finde ich auch Komödien interessant. Dabei mag ich aber weniger die Schenkelklopfer-Variante als eine Auseinandsetzung mit den Absurditäten des Lebens. Was mich begeistert, sind Leute, die trotz schwieriger Umstände unermüdlich weitermachen. Ein Leben im Zyklus aus Anstrengung, Hindernissen und erneuten Versuchen. Das ist etwas, was ich dokumentieren und zeigen möchte.

Warum haben Sie diesen Film mit der „Red One“-Digitalkamera gedreht?

Ich habe mich lange und intensiv mit meinen langjährigen Partnern Anne Rosellini und Michael McDonough beraten, welche Kamera wir für diesen Film verwenden sollen. Die Details der Ozark-Landschaft erforderten ein hochauflösendes Gerät, was aber mit einem kleinen Budget nicht ganz einfach ist.

Die „Red One“ verpasst seit Jahren unabhängigen Filmproduktionen einen schicken Look. Sie kommt sie eher schlicht daher und Michael musste sich erst einmal daran gewöhnen, keine „look up“-Tabelle zu haben, doch er ist ein so hervorragender Kameramann, dass ich keine Bedenken hatte. Die „Red One“ kann auch mal am Set streiken, vor allem bei Überhitzung, doch über weite Strecken war sie ein Arbeitstier. Nach vier Wochen Drehzeit hatten wir Unmengen von Material im Kasten und keine einzige Sekunde verloren. ■

dead like...Elizabeth Taylor Playmate Amber Heard