Donnerstag, 13.8.2009 | Autor: mz | Quelle: Warner Brothers
Audrey Justine Tautou wurde 1976 als Tochter eines Zahnarztes in Beaumont geboren und wuchs in Montluçon auf. Nach ihrem mit Auszeichnung bestandenen Abitur besuchte sie den Theaterkurs Cours Florent in Paris. Nachdem sie zuvor in Kurzfilmen und französischen Fernsehserien (Julie Lescaut) mitgespielt hatte, erhielt sie eine Rolle im Film Schöne Venus, für die sie mit dem César ausgezeichnet wurde. Daraufhin bekam sie die Hauptrolle in Jean-Pierre Jeunets Die fabelhafte Welt der Amélie. Viele Kritiker meinen, mit Wahnsinnig verliebt (2002) habe Tautou versucht, sich von dem Amélie-Image loszulösen, mit dem sie einseitig identifiziert wird. Audrey Tautou streitet diese Intention hinter der Rollenwahl jedoch ab. In diesem Jahr löst sie Nicole Kidman als Gesicht der Werbekampagne für CHANEL № 5 ab. Jetzt ist sie in dem Film Coco Chanel - Der Beginn einer Leidenschaft in der Titelrolle zu bewundern.
Wie haben Sie reagiert, als Anne Fontaine Ihnen die Rolle der berühmten Mademoiselle aus der Pariser Rue Cambon anbot?
Coco Chanel ist eine Figur, die mich schon seit Jahren verfolgt. Mir sind diverse Projekte unterbreitet worden, aber ich wollte kein Biopic drehen, also keine Saga, die ihr Leben von der Geburt bis zu ihrem Tod nacherzählt. Chanel ist immerhin 87 geworden! Da hätte man sich bestimmt all der Klischees bedient, die ihren Lebensweg begleiteten, und das interessierte mich nicht. Ich habe heimlich darauf gehofft, dass man mir ein Angebot macht, das sich durch einen besonderen Standpunkt und Blickwinkel auszeichnet. Denn die Figur Coco Chanel fasziniert mich sehr - ihre Modernität, ihr Geist und der Platz, den sie den Frauen einräumte.
Als Anne Fontaine mir erklärte, wie sie sich dem Thema nähern wollte, war ich sofort Feuer und Flamme. Denn Anne wollte unbedingt alle Klischees vermeiden und eine mimetische Darstellung einer berühmten Person. Sie hatte das Drehbuch zwar noch nicht geschrieben, aber bereits entschieden, sich ausschließlich mit Chanels Lehrjahren zu beschäftigen. Diese Periode, in der Coco sich selbst erschaffen hat und ihre Persönlichkeit festigt, ist auch für mich die interessanteste Periode ihres Lebens. Wenn jemand großen Erfolg hat, sagen die Menschen hinterher gerne: „Wusste ich’s doch!“ Ich hatte ebenfalls, natürlich in einem viel geringeren Maße, dieses Glück mit Die fabelhafte Welt der Amélie. Trotzdem hatte ich vorher keinen blassen Schimmer, dass mir so etwas passieren würde. Ich war wie alle anderen, die ihren Weg gehen, voller Zweifel, Fragen und Unsicherheiten.
Coco Chanels Werdegang vom armen Waisenmädchen zur Kaiserin der Mode hat etwas Beispielhaftes...
Unser Film will trotzdem keine Botschaft vermitteln. Als ich mich mit Chanel beschäftigte und sie immer besser kennenlernte, wurde mir klar, welche Bedeutung sie noch heute hat und wie beispielhaft ihr Schicksal ist. Chanel eignet sich tatsächlich als Symbol der Hoffnung und des Erfolges. Man kann aus dem Nichts kommen und an die Spitze gelangen, und im sozialen Kontext ihrer Zeit bedeutete „nichts“ noch viel weniger als heute. Chanels Ruhm ist um so außergewöhnlicher, wenn man bedenkt, gegen welche Konventionen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Frauen lähmten und einschränkten, Chanel kämpfen musste.
Dieser Film erzählt ein Frauenschicksal, er wendet sich nicht nur an Fans der Haute Couture. Chanel hatte schon sehr früh genaue Vorstellungen vom Leben und ihrem Dasein als Frau und war damit ihrer Zeit weit voraus. Ihre Charakterstärke, ihr Temperament, ihre Arroganz, ihr Stolz und ihre Intelligenz halfen ihr dabei, ihr Lebenswerk zu erschaffen. Diese Frau, die stets geradlinig und integer war, hat nie den Kopf gesenkt. Chanel kümmerte sich nicht darum, was andere von ihr hielten, oder ob sie in deren Augen Erfolg hatte. Es ging ihr einzig und allein darum, sich selbst zu verwirklichen und ihr Schicksal nicht als gegeben hinzunehmen.
Hatten Sie keine Bedenken, eine Figur zu spielen, die wirklich gelebt hat?
Ich wollte diese Figur auf meine Art interpretieren, war mir aber bewusst, dass der Zuschauer den Mythos Chanel irgendwo wiederfinden musste. Natürlich hilft es, wenn auf der Leinwand eine gewisse Ähnlichkeit zu sehen ist. Für mich bestand jedoch die eigentliche Schwierigkeit darin, Chanels wahren Charakter wiederzugeben, und mich nicht mit einer Art Mimikry zufriedenzugeben. Ihre Art, ihr ganzes Wesen, wie wir es von ihren Fotos her kennen, haben sich mit den Jahren nicht verändert. Ironischerweise hat mir ihre eigene Entwicklung bei meiner Darstellung sehr geholfen. In der Phase, als Coco in Moulins lebt, wirkt sie beispielsweise immer noch ein wenig bäuerlich. Da entdecken wir eine Frau, die voller Selbstzweifel ist und von einem anderen Leben träumt. Sie hat zwar schon ihren eigenen Kopf und ihr eigenes Temperament, gleichzeitig ist sie aber immer noch sehr unsicher.
Als wir diesen Teil drehten, steckte ich selbst voller Zweifel. Ich hatte keine Kontrolle über die Figur, kontrollierte mich selbst nicht. Dann bekam ich allmählich den Durchblick. Im letzten Abschnitt des Films bin ich schließlich vollständig mit Coco verschmolzen. Diese Mimikry hatte nichts mit den Kostümen zu tun, mit der, sagen wir, oberflächlichen Seite der Figur, sondern mit ihrem tiefsten Inneren. Ob es mir gelungen ist, weiß ich natürlich nicht. Jedenfalls fand ich es wichtig, ungekünstelt zu zeigen, wie sehr sich diese Frau schon in ihren jungen Jahren von den anderen unterschied, dass sie damals bereits eine Aura besaß und extrem charismatisch war.
Es wurde so viel über Coco Chanel gesagt. Sie selbst hat ständig ihre Spuren verwischt. Was für eine Vorstellung haben Sie von ihr?
Das Problem ist, dass ich mir kein Bild von ihr machen kann, weil sie es mit der Wahrheit nie so genau genommen hat. Zur Vorbereitung habe ich das Buch von Paul Morand gelesen, außerdem „Coco Chanel - Ein Leben“ von Edmonde Charles-Roux, das Porträt von Colette und all die Biografien, die Chanel selbst autorisiert hatte. Dabei fiel mir auf, wie sehr sie ihre Spuren verwischte, vielleicht aus Bescheidenheit, wie Menschen bäuerlicher Herkunft nun mal sind. Jedenfalls muss man sehr schlau sein, um herauszufinden, wer Chanel wirklich war. Ich möchte niemandem zu nahe treten, aber ich bin mir nicht sicher, ob all das, was über sie gesagt und geschrieben wurde und sich dabei häufig widersprach, ihrem wahren Wesen entspricht. Die Fülle an Material hat mich letzten Endes nur verwirrt, auch die Reportagen über sie. Deshalb beschloss ich irgendwann, mir nur noch ihre Fotos anzusehen und meiner Fantasie freien Lauf zu lassen.
Coco nimmt sich vor Gefühlen in Acht. Sie sagt: »Eine verliebte Frau ist zu nichts zu gebrauchen. Sie benimmt sich wie eine Hündin, total unterwürfig.«
Sie möchte sich nicht von den Männern abhängig machen. Sie hat gesehen, wie ihre Mutter litt, weil sie gefühlsmäßig und finanziell von ihrem flatterhaften Mann abhängig war, der sie immer wieder verließ. Ich glaube, dass Coco mit sich selbst einen Pakt abgeschlossen hat, nach dem Motto: „Ich werde nie von jemandem abhängig sein.“ Auf der anderen Seite ist die Vorstellung spannend, was wohl passiert wäre, wenn Boy Capel sie geheiratet hätte - dann wäre Chanels Schicksal eventuell ganz anders verlaufen. Sie liebte ihn so sehr. Vielleicht hätte diese Liebe genügt, um sie glücklich zu machen. Chanel ist eben ein komplexer Mensch. Morand schrieb, dass die Einsamkeit ihr ständiger Begleiter war. Für mich war diese Einsamkeit einer der Schlüssel, um mich der Figur zu nähern. In der Schlusssequenz, wenn Chanel allein auf der Treppe sitzt, während die Mannequins von Applaus begleitet defilieren und Coco auf dem absoluten Höhepunkt ihres Ruhms angelangt ist, musste sich diese Einsamkeit in ihrem Gesicht ablesen lassen.
Während ihrer Lehrjahre ist zu beobachten, wie sich Coco Chanel verändert. Mit welchen Mitteln wollten Sie diese Veränderungen zeigen?
Als ich mir ihre Fotos ansah, fiel mir Chanels vornehme Kopfhaltung auf. Sie hielt sich immer sehr gerade, so als wäre ein unsichtbarer Faden an ihrem Kopf befestigt, der sie nach oben zieht. Ihre bäuerliche Herkunft an ihrem eleganten Auftreten oder den vornehmen Gesten abzulesen, war absolut unmöglich, ebenso wenig an der Art, wie sie zum Beispiel ihre Zigaretten hielt. Die physischen Veränderungen in diesen Anfangsjahren sind zwar nicht sehr auffällig, dafür eignet sie sich mit zunehmendem Selbstbewusstsein Haltung und Autorität an. Das musste man ihr anmerken, selbst wenn sie saß. Trotzdem durfte ich sie nicht als gebieterisches Wesen spielen, eher so, als nähmen ihre Zweifel allmählich immer mehr ab. Ich wollte auch zeigen, dass sie von Anfang an diesen scharfen Blick besaß. Chanel war sehr aufmerksam und extrem klarsichtig. Auch deshalb hatte sie diesen Lebenslauf und diese Kreativität.
Sie räumen in Interviews gerne ein, dass Sie stets genau wissen was Sie wollen und was nicht. Das haben Sie mit Chanel gemeinsam. Gibt es noch weitere Parallelen zwischen Chanel und Tautou?
Vielleicht, dass ich viel beobachte und die Welt sehr klarsichtig wahrnehme. Dass ich meinem Instinkt vertraue. Die Gabe, sehr schnell die wahre Persönlichkeit eines Menschen zu erkennen, seine Absichten, wie er tickt. Ich glaube, dass Chanel nicht leicht zu beeindrucken war. Sie erkannte Heuchelei und Oberflächlichkeit sofort. Vielleicht ähneln wir uns auch darin, dass ich versuche, mir selbst und meinen Überzeugungen treu zu bleiben. Ich würde mir sehr wünschen, wie Chanel zu sein: ein geradliniger, integrer Mensch, der seine Seele nicht verkauft.
Ihre männlichen Partner sind zwei sehr unterschiedliche Schauspieler. Wie war es, mit ihnen zu arbeiten?
Ich fand es toll, mit Benoît Poelvoorde zusammenzuarbeiten. Ich bewundere diesen Schauspieler, und, das ist jetzt keine Schleimerei, ich finde, dass er etwas Genialisches hat. Benoît nimmt seine Arbeit sehr ernst, ist sehr kontaktfreudig und offen. In unseren ersten gemeinsamen Szenen hat er mich zwar ein bisschen eingeschüchtert, aber als ich das überwunden hatte, wurden wir zu echten Komplizen. Alessandro Nivola ist einfach vorbildlich. Er ist Amerikaner, und ich weiß, wie schwierig es ist, in einer fremden Sprache frei aufzuspielen. Mit seiner Anpassungsfähigkeit und der Wahrhaftigkeit seines Spiels hat er mich sehr beeindruckt. Außerdem ist er ein echter Profi und als Mann einfach anbetungswürdig.
Schauspieler, die mit Anne Fontaine gedreht haben, loben ihre Art der Schauspielerführung in den höchsten Tönen.
Anne erlaubte mir, Chanels Charakter zu entwickeln, indem ich gegensätzliche Aspekte dieser Rolle spielen durfte. Ich konnte auf der einen Seite zerbrechlich und gutmütig sein, andererseits aber auch bestimmend und stolz. Es war von immensem Vorteil, dass eine Frau diesen Film inszeniert hat, der davon handelt, wie schwierig sich damals das Leben für das sogenannte schwache Geschlecht gestaltete. Anne Fontaines Intelligenz, ihre Finesse, ihre Sicht auf die Figur und die Geschichte haben die Art und Weise, wie sie den Film erzählt hat, nachhaltig beeinflusst. ■

