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Coco Chanel - Interview mit Benoît Poelvoorde
Donnerstag, 13.8.2009 | Autor: mz | Quelle: Warner Brothers

Der 1964 im franko-belgischen Namur geborene Sohn einer Krämerin und eines Fernfahrers studierte bis zu seinem 17. Lebensjahr bei den Jesuiten und verließ dann das heimatliche Domizil, um seiner künstlerischen Ader zu folgen. An der ICT Félicien Rops in Namur begegnete er dem Filmemacher Rémy Belvaux, mit dem er später den Film Man bites Dog drehte. Er verfiel leidenschaftlich dem Theater und machte mit seinen untypischen Interpretationen auf sich aufmerksam. Trotz seiner Bestimmung als Zeichner übte er sich nebenbei in einer zweiten Aktivität - dem Fotografieren. Während seines Studiums visueller Kommunikation an der ERG (Ecole de Recherches Graphiques, Brüssel) drehte er mit Rémy Belvaux und André Bonzel, beide Studenten an der INSAS (L’Institut national supérieur des arts du spectacle et des techniques de diffusion), den Kurzfilm Pas de C4 pour Daniel Daniel (Kein C4 für Daniel Daniel).

Während ihrer Studienzeit drehten alle drei zusammen den Spielfilm Man bites Dog (C'est arrivé près de chez vous; Das ist bei euch angekommen), der 1992 in die Kinos kam. Aus einem Testfilm wurde ein Meisterwerk, das schon bald zum Kultfilm avancierte. Danach trat Poelvoorde in Café-Theatern auf und spielte dann in der Sketchserie Jamais au grand jamais (1996) und der Comedyserie Les Carnets de monsieur Manatane. Ab 1997 drehte er eine Reihe von Filmen, u.a. Singles unterwegs (Les randonneurs, 1997), Ball & Chain - Zwei Nieten und sechs Richtige (Le boulet, 2002), Die wunderbare Welt des Gustave Klopp (Narco, 2004) sowie 2008 Asterix bei den Olympischen Spielen und Louise Hires a Contract Killer, der am 24. September 2009 in die deutschen Kinos kommt.

2002 erhielt er den Jean-Gabin-Preis, der an die besten Nachwuchsschauspieler verliehen wird. 2004 war er Mitglied der Jury bei den Filmfestspielen in Cannes, wo er auf Quentin Tarantino stieß, der sich als Fan von Man bites Dog erklärte. Benoît Poelvoorde ist außerdem mit Jean-Claude van Damme befreundet, mit dem er in Die wunderbare Welt des Gustave Klopp agieren konnte. Die Bewerbung seiner Filme fokussierte er mehr aufs Internet, da er das Fernsehen „mit seinen Wiederholungen für überholt“ ansieht. Der Schauspieler, der sich nie zurückhält, ließ sich im November 2008 kurzzeitig wegen Depressionen in einem psychaitrischen Krankenhaus in Namur behandeln, um kurze Zeit später in Anne Fontaines Coco Chanel - Der Beginn einer Leidenschaft wieder vor der Kamera zu stehen.

Wie kam Ihre Mitwirkung an diesem Projekt zustande?

Ich habe diesen Film aus zwei Gründen gemacht. Erstens wollte ich wieder mit Anne Fontaine arbeiten, zweitens wollte ich unbedingt mit Audrey Tautou drehen. Anne liebt Schauspieler, sie kennt uns durch und durch und versteht es, uns Rollen anzubieten, an die wir uns sonst nie herantrauen würden. Ich gebe zu, dass ich zögerte, als Anne mir damals die ungewöhnliche Rolle in Entre ses mains anbot. Denn sie war meilenweit von dem entfernt, was ich üblicherweise spiele. Aber die Arbeit war aufregend und spannend, und ich habe Anne ganz und gar vertraut. Es ist wichtig, dass man sich von der beschützenden Vision des Regisseurs leiten lässt. Am Set habe ich Anne Fontaine als neugierig und unersättlich in Bezug auf das, was man ihr darstellerisch bieten kann, erlebt. Was ich an ihr schätze, sind ihre Loyalität, ihre Großzügigkeit und, Pünktchen auf dem i: Sie bringt mich immer wieder zum Lachen.

Welche Qualitäten zeichnen Anne Fontaine als Regisseurin aus?

Mit Anne zu arbeiten, bereitet mir auch deshalb ein solches Vergnügen, weil sie stets die richtigen Partnerinnen für mich aussucht. In Entre ses mains hatte ich das Glück, mit Isabelle Carré zu arbeiten, die ich nur den „Rolls Royce“ nannte. Audrey Tautou ihrerseits ist wie ein Metronom, eine ganz große Schauspielerin. Sie bei der Arbeit zu beobachten, ist irgendwie verwirrend, denn sie macht einerseits großartige Sachen, hegt gleichzeitig aber immer Zweifel, ob es auch gut war. Sie stellt einfach enorme Ansprüche an ihre Arbeit. Schon bei den ersten Probeaufnahmen war Audrey ganz Coco, obwohl sie weder die Kostüme noch den Haarschnitt ihrer Figur trug. Trotzdem zeichneten sich bereits sämtliche Facetten der Figur ab, ihre Eleganz, ihre Autorität, ihr Schalk, und dann natürlich dieser intensive Blick, das war schon sehr beeindruckend.

Auch das Spiel von Emmanuelle Devos hat mir imponiert, allein dadurch, wie melodiös sie ihre Texte aufsagt. Sie zirpt wie ein Vögelchen. Ich erinnere mich an die Picknickszene auf Royallieu; damals fühlte ich mich noch nicht ganz wohl in meiner Haut, denn Audrey hatte mich bereits völlig überwältigt. Da tauchte plötzlich Emmanuelle auf. Sie hat ihren Text über ihren kleinen, hektischen Jockey locker aus dem Ärmel geschüttelt, so natürlich und stimmig im Tonfall, dass es mich absolut umgehauen hat. Außerdem muss ich natürlich Alessandro Nivola ein Kompliment machen. Der hatte ganz viel Text auf Französisch aufzusagen. Anne verabscheut Konflikte, sie besitzt das Talent, sich mit großartigen Schauspielern und Technikern zu umgeben, deshalb: Hut ab vor allen Beteiligten!

Wie würden Sie Ihre Figur beschreiben?

Balsan interessierte mich sehr, denn sein Lebensweg ist sehr bewegend. Ein Mann, der seinen wahren Charakter verbirgt, um sich dann plötzlich zu öffnen, wird einem automatisch sympathisch. Anfangs kommt Balsan als großspuriger Bourgeois daher, stinkreich und extrem ungehobelt. In Wahrheit versteckt er sich hinter der Maske des zynischen, leicht desillusionierten Mannes von Geld und Welt, und dann sieht man auf einmal, wie die Fassade bröckelt. Es hat mich sehr berührt, wie gefühlvoll er reagiert, als er den Menschen zu verlieren droht, der ihm letzten Endes am nächsten steht.

Als ich erfuhr, dass Balsan im wirklichen Leben nie über diese Beziehung hinweggekommen ist, obwohl er andauernd Affären mit hübschen Mädchen hatte, ging mir das sehr nahe. Coco war die Liebe seines Lebens. Balsan und ich ähneln uns, wir sind nämlich beide unverbesserliche Romantiker! Ich hatte Bedenken, was Balsans Äußeres angeht. Pferde, Frack, Schnurrbart - damit schleppt man eine Menge Gepäck mit sich rum. Und muss schon sehr genau wissen, was man tut, sonst wirkt es schnell lächerlich. Es hat mir noch nie etwas ausgemacht, mich lächerlich zu machen, aber man muss verdammt gut aufpassen, denn meistens wirkt man dann am lächerlichsten, wenn man denkt, man tut es nicht. Aber auch in der Hinsicht habe ich ganz auf Anne vertraut.

Haben Sie sich im Vorfeld intensiv mit dem echten Balsan beschäftigt?

Nein, ich habe nichts über ihn gelesen. Anne zeigte mir lediglich ein Foto von ihm, auf dem er sehr jovial aussieht, und das war’s dann für mich. Ich habe auch nichts über Chanel gelesen. Ich brauche diese Unwissenheit, muss auf eine Figur zugehen, ohne sie zu kennen. Die Nachkommen von Balsan sind womöglich schockiert, wenn sie sehen, wie ich ihren Vorfahren interpretiert habe. Ich führe das aus, was die Regisseurin mir sagt, und übernehme hinsichtlich der Authentizität keine Verantwortung. Wichtig ist nur, dass ich Empathie für die Figur empfinde und nicht über sie urteile. Mir wurde gesagt, dieser Typ sei stinkreich, möge die Frauen und feiere gern - nun, man muss kein Einstein sein, um so eine Figur spielen zu können. Ich glaube nicht an die Methoden des Actors Studio. Für mich lauten die beiden einzigen Regeln, die ein Schauspieler zu beachten hat: „Nicht in die Kamera schauen!“ und „Natürlich wirken!“ ■

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