Das Magazin - Interviews & Berichte
Coco Chanel - Interview mit Anne Fontaine
Donnerstag, 13.8.2009 | Autor: mz | Quelle: Warner Brothers

1959 als Fontaine Sibertin-Blanc in Luxemburg geboren, wuchs sie bei ihrem Vater in Lissabon auf, der dort Musikprofessor und Orgelspieler in einer Kathedrale war. Als Jugendliche zog sie nach Paris, um Tanzunterricht bei Joseph Russillo zu nehmen, während sie ihre akademische Bildung fortsetzte, wozu auch Philosophie gehörte. 1980 wurde sie von Robert Hossein entdeckt und spielte die Esmeralda in einer Bühnenversion von „Der Glöckner von Notre-Dame“. Um mit einem gängigen Namen mehr Aufträge zu bekommen nannte sie sich in Anne Fontaine um und spielte kleinere Rollen in Filmen wie Zärtliche Cousinen und P.R.O.F.S... und die Penne steht Kopf. Erste Regieerfahrungen sammelte sie 1986 bei der Bühnenfassung von Célines „Voyage au bout de la nuit“ (Reise ans Ende der Nacht) am Renaud-Barrault Theater.

Ihr erster Film in Alleinregie, Les histoires d'amour finissent mal... en général (Liebesgeschichten enden im Allgemeinen böse), gewann 1993 den Jean-Vigo-Preis. 1995 drehte sie mit ihrem Bruder Jean-Chrétien Sibertin-Blanc in der Titelrolle die Komödie Augustin, der 1999 in Augustin, Kung-Fu-König und 2006 in Nouvelle chance erneut in die Rolle schlüpfte. 1997 erhielt ihr Film Eine saubere Affäre bei den Filmfestspielen von Venedig den Preis für das beste Drehbuch und wird allgemein als Meilenstein auf Fontaines Weg gesehen, „eine bedeutende Figur im zeitgenössischen französischen Kino“ zu werden. Ihre Filme lassen sich nicht so einfach Kategorisieren. Oft wird von „psychologischem Drama“ gesprochen. Zu ihren weiteren Werken gehören Nathalie - Wen liebst Du heute Nacht? (2003, mit Fanny Ardant, Emmanuelle Béart und Gérard Depardieu) und Das Mädchen aus Monaco (2008). Sie arbeitete bereits vor Coco Chanel - Der Beginn einer Leidenschaft in Entre ses mains (In seinen Händen; 2005) mit Benoît Poelvoorde zusammen, der hier in die Rolle des Étienne Balsan schlüpft.

Wie entstand Ihr Interesse an Gabrielle Chanel?

Als ich noch sehr jung war, hatte ich das große Glück, Lilou Marquand zu begegnen. Sie war die engste Mitarbeiterin von Chanel während des ganzen letzten Abschnitts ihres Lebens und schrieb später ein Buch über ihre Beziehung, „Chanel m’a dit“. Eine Zeit lang erfuhr ich also beinahe täglich Einzelheiten über diese mythische Persönlichkeit. Außerdem las ich mit großem Interesse das Buch „L’allure de Chanel“ von Paul Morand, einem der Autoren, die es am besten verstanden haben, die sagenhafte Persönlichkeit von Mademoiselle zu beschreiben. Was mich interessierte, war weniger ihre Mode als die Charaktereigenschaften dieser außergewöhnlichen Frau. Mich berührte die Tatsache, dass sie Autodidaktin war, ganz besonders. Da war dieses Mädchen, das aus der tiefsten französischen Provinz stammte, das arm war und ungebildet, aber mit einer so einzigartigen Persönlichkeit gesegnet und ihrer Zeit und der Gesellschaft weit voraus, in der Frauen die Gefangenen von Benimmregeln und Kleidung waren, die sie von sich selbst entfremdeten.

Ihren Lebensweg, der etwas Romanhaftes hat, fand ich sehr spannend. Ich weiß noch, wie ich Fotos der jungen Chanel an die Wand meines Zimmers pinnte, obwohl ich damals nie gedacht hätte, dass ich mal einen Film über dieses Thema machen würde. Viele Jahre später, während einer Unterhaltung über Chanel mit Caroline Scotta und Caroline Benjo, den Produzentinnen von „Haut et Court“, wurde ich gefragt, ob ich Lust hätte, ein Projekt zu entwickeln, das ihren Lebensweg nachzeichnet. Daraufhin flammte mein Interesse an Chanel wieder auf. Ich bat um etwas Bedenkzeit, sagte aber gleich, dass es meiner Meinung nach ein Fehler wäre, Coco Chanels Leben vollständig zu erzählen. Ich musste mir darüber klar werden, ob es möglich war, sich auf den ersten Abschnitt ihres Lebens zu beschränken, ihre Lehrjahre und das, was alles geschah, bevor Chanel selbst überhaupt begriff, welches glanzvolle Schicksal ihr beschieden war. Deshalb las ich noch einmal die Biografie von Edmonde Charles-Roux, „Coco Chanel - Ein Leben“. Die andere zwingende Notwendigkeit bestand darin, eine Schauspielerin zu finden, die diese Figur wirklich verkörpern konnte und nicht bloß eine blasse Kopie von Chanel abgibt oder sie nachäfft.

Audrey Tautou wirkt wie die Idealbesetzung für die Rolle der Coco Chanel.

Ja, weil Audrey diese Androgynität besitzt, die es zu Chanels Zeiten nicht gab, die man aber unbedingt zeigen muss, damit man begreift, wie Coco Chanel ihren Stil erfand. Chanel hat sich hauptsächlich von sich selbst inspirieren lassen, sie entwickelte ihren Stil für ihren Körper, ihr Anderssein, ihre Vitalität. Heute ist es schick, androgyn zu sein, damals hatten die Frauen jedoch Kurven und waren füllig. Chanel war es auch, die kurze Haarschnitte zum Trend machte. Meine Idealbesetzung musste also eine grazile Silhouette mit einem starken Naturell verbinden, musste wie eine Faust im Samthandschuh wirken.

Audrey hat die schmalste Taille der Welt! Andererseits hat sie auch etwas von einem „kleinen schwarzen Stier“, wie Paul Morand Chanel zu beschreiben pflegte; außerdem ist sie anmutig, besitzt Finesse und hat unbestreitbar Charisma. Bei meinem ersten Treffen mit Audrey war ich gleich von ihrer Willenskraft fasziniert, von ihrem Mut und ihrem Blick, der einen regelrecht durchbohrt. Auch Chanels Blick entging nichts. Sie hatte sich durch Beobachten gebildet, nicht nur durch schulisches Lernen. Ich hatte noch keine Zeile des Drehbuchs geschrieben, als ich Audrey traf, aber ich wusste sofort, wenn sie mir vertrauen würde und die Produzenten damit einverstanden waren, sich auf Chanels Lehrjahre zu konzentrieren, würde dem Abenteuer meines ersten Kostümfilms nichts mehr im Wege stehen.

Wenn man ein Drehbuch über einen berühmten Menschen schreibt, muss einem klar sein, dass der Zuschauer weiß, wie die Geschichte ausgeht. Ihnen ist es trotzdem gelungen, sie spannend zu gestalten.

Weil diese Spannung ein Teil des Lebens unserer Heldin war. Wie wird sie es anstellen, um Erfolg zu haben? Wie wird sie das Handicap ihrer Ungebildetheit überwinden? Chanel, deren Name heute quasi ein Synonym für Haute Couture ist, war zunächst interessanterweise überhaupt nicht an Mode interessiert. Sie wollte Tänzerin werden, Sängerin oder Schauspielerin. Nachdem sie ihre Träume von einem Künstlerleben begraben hatte, ergab sich ihre glänzende Karriere, ohne dass sie sich großartig anstrengen musste. Ich fand es besonders spannend zu zeigen, wie Coco sich ihr eigenes Schicksal erschafft, wie sie den Lauf der Dinge beeinflusst.

Bei ihr war nichts vorgefertigt. Sie verfolgt keinen bestimmten Karriereplan, um erfolgreich zu sein - sie erfindet alles neu. Sie besitzt weder die Ambitionen noch das nötige Werkzeug, um sich der Bourgeoisie anzupassen - diese Welt bleibt ihr im Grunde sogar verschlossen. Deshalb macht sie auf sich aufmerksam, macht sich begehrt, was natürlich ein Höchstmaß an Provokation ist. Sie will sich nicht den Regeln dieser Welt beugen, sondern die Welt ihrer Persönlichkeit anpassen. Sie mag das Risiko. Mir gefiel die Vorstellung, dass sie zu Beginn ihrer Reise in die Welt wie eine Illegale ist. Wenn sie in Royallieu eintrifft, verbietet ihr Balsan, das Schlafzimmer zu verlassen. Sie formte ihr emblematisches Image, indem sie ihre Ursprünge im Dunkeln ließ. Die Geschichte ihrer Kindheit und Jugend wurde von ihr immer wieder beschönigt.

Mit ihren Entwürfen propagierte Chanel nie das Image der idealen Frau, wie es die meisten Modeschöpfer tun. Sie schuf ihren legendären Stil, indem sie ihre Besonderheiten, ihr Anderssein, betonte...

Sie war anders. Aber Chanel machte daraus einen Trumpf von unschätzbarem Wert, auch wenn sie anfänglich bestimmt darunter litt. Wie sie sich verändert, das haben Audrey und ich gemeinsam entwickelt. Zu Beginn sehen wir das kleine, ungehobelte Bauernmädchen mit seiner Bienenkorbfrisur, dann erlebt man, wie sehr ihr Stil mit dem der anderen Frauen kontrastiert, bis er schließlich, im letzten Teil des Films, zur Inkarnation französischer Eleganz wird. Ich fand es spannend, diese Evolution ohne großartige Erklärungen zu zeigen. Nach und nach wurde sie zur personifizierten Eleganz, und was die Menschen schließlich sahen, war Chanel.

Ihr Film erzählt auch eine schöne, eine tragische Liebesgeschichte.

Wir zeigen, wie sie zwei Männern begegnet, die ihr Leben grundlegend beeinflussen werden: Balsan, dem reichen, exzentrischen Gentlemanfarmer, den Benoît Poelvoorde spielt, und diesem jungen Engländer namens Arthur Capel, der ,Boy‘ genannt wurde, die Liebe ihres Lebens, gespielt von Alessandro Nivola. Dieser Mann glaubt an sie, und das ist von größter Bedeutung, aber er stirbt auf tragische Weise. »Als ich Capel verlor, verlor ich alles«, sagte Chanel. Daraufhin stürzte sie sich in die Arbeit. Was ich überraschend und sehr interessant fand, war, dass alles, was Chanel erfand, seinen Ursprung in diesen Jahren hatte. Später passt sie ihre Entwürfe dem Zeitenwandel an, und sie entwickelt daraus ihren Stil, wird sozusagen Profi. Deshalb ist diese Periode ihres Lebens, die wir beschreiben, deutlich lebendiger und bewegender als alle anderen. Sie ist ein Mensch, der gleichzeitig extrem unbeirrt und dennoch sehr verletztlich ist. Chanels unglaubliche Vitalität fußt auf ihrem Leiden.

Diese Frau besaß einen schneidenden Humor.

Chanel ist sehr ironisch. Im Film sagt sie zu ihrer Schwester: »Das einzig Interessante an der Liebe ist Sex. Zu dumm, dass man Männer dafür braucht.« Sie hatte ein Gespür für Aphorismen. Chanel nahm die Menschen mit ihren bissigen Antworten für sich ein. Bei ihrer ersten Begegnung sagt sie zu Balsan: »Wenn ich mich langweile, fühle ich mich sehr alt«, worauf er sie fragt: »Wie alt sind Sie denn gerade?« Und sie antwortet: »1000 Jahre!«

Welche Freiheiten haben Sie sich beim Schreiben des Drehbuchs erlaubt?

Man muss sich von den biografischen Zwängen lösen, wenn man eine berühmte Person auf frische Weise zeigen will. Meine Co-Autoren und ich mussten natürlich einiges erfinden, die Chronologie verändern, Figuren abändern oder verdichten. Die von Marie Gillain gespielte Rolle ist beispielsweise eine Mischung aus der echten Schwester von Chanel und ihrer Tante Adrienne, die gleichaltrig war und ähnliche Ambitionen hatte, es im Leben zu etwas zu bringen. Die Figur der Emilienne, die von Emmanuelle Devos gespielt wird, wurde von der berühmten Schauspielerin Gabrielle Dorziat und der Tänzerin und Kurtisane Emilienne d’Alençon inspiriert. Boy Capel, der eine große Rolle in Chanels Leben spielte und den Alessandro Nivola so großartig spielt, ist erst später gestorben. Tatsächlich weiß man nur sehr wenig über ihre ersten Lebensjahre, und Chanel log die ganze Zeit. Sie sagte etwas, das mir unglaublich gut gefällt: »Ich habe mein Leben erfunden, weil ich mein Leben nicht mochte.«

So wie Sie Chanels Liebesleben schildern, muss man sich fragen, ob sie ihren größten Triumph, das kleine Schwarze, nicht für sich selbst entworfen hat, für diese Frau, die von Einsamkeit gezeichnet war?

Sämtliche Szenen, die mit ihrer Mode zu tun haben, habe ich so gedreht, dass immer deutlich wird, wie Chanels Kreativität von ihren Erlebnissen und Erfahrungen geprägt wurde. Ganz besonders natürlich dieses furchtbare Ereignis, als Capel bei einem Unfall stirbt. Darin, wie sie diese Tragödie in eine Obsession mit ihrer Kultfarbe Schwarz verwandelt, liegt eine unbestreitbare Schönheit. Dadurch erhalten die von ihr entworfenen Kleider eine poetische Dimension, die Kleidung normalerweise nicht besitzt. Ein Kleidungsstück wird erst durch die Art und Weise, wie es getragen wird, lebendig. Bewegung - das ist es, womit Chanel die weibliche Mode bereichert hat. Was sie den Frauen damit schenkte, war eine Art von Freiheit.

Die Geschichte ihrer Lehrjahre, jene Zeit, als Chanels Durchhaltevermögen, ihr Wille und ihr Glaube an sich selbst deutlich werden, müsste eigentlich jede Frau interessieren.

Unbedingt! In Paul Morands Buch wird Chanel mit folgenden Worten zitiert: „Die Geschichte meines Lebens, das häufig einer Tragödie glich, ist die einer auf sich allein gestellten Frau, ihrer Entbehrungen und ihrer Triumphe, ihres ungleichen und faszinierenden Kampfes gegen sich selbst, gegen die Männer, gegen Versuchungen, Schwächen und Gefahren, die von allen Seiten drohen.“ Ich glaube, Frauen und Männer gleichermaßen dürften sich in dieser Aussage wiedererkennen. Zumindest aber müssten Chanels Liebesaffären und die Schicksalsschläge, die sie immer wieder erlitt, das Publikum berühren.

Hat das Haus CHANEL Ihr Projekt begleitet?

Die Zusammenarbeit mit CHANEL war für uns unverzichtbar, insbesondere bei der letzten Sequenz. Da wäre es undenkbar gewesen, Kleider zu zeigen, die nicht von CHANEL stammen. Wir haben auf der berühmten Originaltreppe gedreht. All die Kleider, die in dieser Sequenz zu sehen sind, stammen aus der Sammlung CHANEL. Karl Lagerfeld und ich haben uns mehrfach getroffen. Wir zeigten ihm die Entwürfe meiner Kostümbildnerin Catherine Leterrier. Als Karl Bilder von Audrey Tautou sah, meinte er zu mir, sie sei die »einzig wahre Chanel«. Wir haben auf sehr entspannte Weise mit dem Haus CHANEL zusammengearbeitet. Einfluss auf meine künstlerische Arbeit gab es von deren Seite keine.

Coco Chanel - Der Beginn einer Leidenschaft ist nach Entre ses mains Ihr zweiter Film mit Benoît Poelvoorde, der, ebenso wie Audrey Tautou, Ihnen Vertrauen in das Projekt schenkte.

Die Figur des Balsan habe ich mit Benoît im Hinterkopf geschrieben. Die Bandbreite seines Könnens war mir aufgefallen, als ich mit ihm Entre ses mains drehte. Wir wollten beide unbedingt wieder zusammenarbeiten. Am Tag, als ich Audrey Tautou die erste Drehbuchversion überreichte, war ich ziemlich nervös. Ich sagte zu ihr: »Natürlich haben Sie das Recht abzulehnen. Außer Ihnen kann ich mir allerdings keine andere in dieser Rolle vorstellen - deshalb gebe ich auf, wenn Sie Nein sagen.« Zum Glück hat mir Audrey schnell meine Ängste genommen. Audrey stammt aus derselben Gegend wie Chanel. Sie ist in Montluçon aufgewachsen, das 50 Kilometer von Moulins entfernt liegt. Audrey sagte zu mir: »Ich hatte schon immer das Gefühl, dass diese Figur eines Tages meinen Weg kreuzt.« Sie ahnte, dass ihr diese Rolle vorbestimmt war. ■

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