Das Magazin - Interviews & Berichte
Weißensee - Interview mit Annette Hess
Mittwoch, 30.8.2010 | Autor: mz

Nach dem Studium der Malerei und Innenarchitektur absolvierte die die 1967 in Hannover geborene Annette Hess an der Hochschule der Künste Berlin den Studiengang „Szenisches Schreiben“. Danach arbeitete sie als feie Journalistin, Regie- und Ausstattungs-assistentin am Theater und für Fernsehproduktionen. Als Programmassistentin beim SFB-Kinderprogramm realisierte sie diverse Fernsehbeiträge.

Seit 1998 ist sie ausschließlich als Drehbuchautorin tätig. Bereits mit ihrem ersten Fernsehfilm In Liebe eine Eins mit Anna Loos in der Rolle einer geistig zurückgebliebenen Mutter gelang ihr ein großer Publikumserfolg. Mit dem viel beachteten ARD-Zweiteiler Die Frau vom Checkpoint Charlie mit Veronica Ferres in der Hauptrolle schrieb sie einen der erfolgreichsten Fernsehfilme des Jahres 2007.

Eine weitere große Stärke von Annette Hess liegt in der Adaptation literarischer Vorlagen. Der Zweiteiler Das Echo der Schuld und Der Fremde Gast entstanden nach Romanen von Charlotte Link, der Thriller Heiße Spur nach dem Roman von Linda Howard.

Mit großem handwerklichem Können erzählt sie packende, berührende, nachhaltig beeindruckende Geschichten, die zumeist gesellschaftlich relevante Themen in den Fokus stellen - wie derzeit in Weißensee. Wie es dazu kam und was wir sonst noch von ihr erwarten können, das erzählt uns jetzt Annette Hess:

Wie sind Sie auf die Idee zu Weißensee gekom-men?

Da kamen zwei Dinge zusammen: ich mag Familienserien wie Diese Drombuschs oder Dallas. Und ich bin fasziniert von der DDR, seit ich als westdeutsches Kind zum ersten Mal von der Existenz eines zweiten Deutschlands erfahren habe. Den konkreten Anstoß zu Weißensee gab dann eine Dokumentation über das Ministerium für Staatssicherheit (MfS), die ich gesehen habe. In dieser erwähnt Mielkes Stellvertreter Wolfgang Schwanitz in einem Nebensatz, dass sein Sohn ebenfalls bei der „Firma“ war. Ich hatte sofort ein Bild vor Augen, wie eine Familie beim Abendbrot sitzt, Vater und Sohn bei der Stasi. Wie ist da die Stimmung? Was wird geredet? Was gibt es für Konflikte? – Zum Beispiel der aus der Art geschlagene Sohn, der sich in die falsche Frau verliebt...

Warum wird die Serie eigentlich mit „ss“ geschrieben und nicht mit „ß“ wie der Bezirk? Haben Sie eine Meinung dazu?

Auf den Drehbüchern stand immer „Weißensee“. Die falsche Schreibweise hat sich dann eingeschlichen, als das grafische Konzept für die Serie entwickelt wurde: mit „WEISSENSEE“ in Großbuchstaben. Bei denen gibt es bekanntlich kein ‚ß’. Und das wurde dann für alles übernommen. Was ich dabei aber wirklich interessant finde ist, dass dieser Schreibfehler in den letzten Wochen teilweise engagierter kritisiert und diskutiert wurde als die Inhalte der Serie.

In wie weit haben Sie für die Details recherchiert? Musste viel revidiert und korrigiert werden?

Wie gesagt ist die DDR meine Leidenschaft, ich habe viel über dieses Land gelesen, Sachbücher und Romane, Filme gesehen, zum Beispiel die wunderbaren alten Polizeiruf-Folgen, ich habe immer wieder Ostdeutsche zu ihrem Leben befragt, um Anregungen für meine Geschichten zu bekommen. Was die Details des Alltags oder die organisatorischen Einzelheiten bei der Stasi angeht, bin ich natürlich auf Hilfe „von drüben“ angewiesen: teilweise 6 Fachberater haben die Drehbücher revidiert.

Wie verlief die Zusammenarbeit mit den anderen an der Serie Beteiligten und wie kam diese zustande?

Zunächst habe ich der Produzentin Regina Ziegler von meiner Idee erzählt, sie war sofort Feuer und Flamme, und wir haben mithilfe eines Konzepts den mdr als federführenden Sender vom Projekt überzeugt. Ich habe dann die Drehbücher geschrieben, Friedemann Fromm kam hinzu. Er hatte noch ein paar gute Anregungen für die Bücher, die ich eingearbeitet habe. Aufgrund der Drehbücher wurden dann die Schauspieler gewonnen, die ausnahmslos von ihren Rollen überzeugt waren und keinerlei Änderungswünsche an mich hatten.

Mit welcher Figur würden Sie sich am meisten identifizieren und warum?

Während ich schreibe, muss ich mich ja im Idealfall mit jeder einzelnen Figur – auch mit einer Nebenfigur - identifizieren, denn sonst weiß ich nicht, was sie als nächstes tut oder sagt. Wenn ich beim Schreiben nicht in die Figuren hineinschlüpfe und aus ihnen heraus agiere, dann wirken sie leblos und ausgedacht.

Die Figur in Weißensee, die mir beim Schreiben am meisten Spaß gemacht hat, ist Hans Kupfer. Er glaubt an den Sozialismus und sieht gleichzeitig, wie sich die DDR selbst demontiert. In seiner Position als Stasigeneral ist er ohnmächtig und mächtig zugleich. Zudem steht er zwischen zwei Frauen – Hans Kupfer ist ein innerlich zutiefst zerrissener Mensch, was ihn als Charakter sehr spannend macht. Übrigens von Uwe Kockisch genial umgesetzt!

Welche Passagen waren besonders schwierig zu schreiben?

Schwierig waren natürlich die Szenen im MfS. Die Offiziere sollten so miteinander reden und umgehen, dass es glaubwürdig wirkt. Da ich nie bei einer Besprechung im MfS dabei gewesen bin, bin ich auf meine Phantasie angewiesen. Und auf unsere Fachberater, die zumindest die Dienstgrade und Begrifflichkeiten prüfen konnten.

Wie geht es jetzt weiter? Bleiben Sie in „Weißensee“ oder schreiben Sie derzeit noch an anderen Projekten?

Tatsächlich sitze ich gerade an „Weissensee 2“, zu dem ich nur soviel verraten will: es bleibt hochdramatisch. Außerdem arbeite ich an verschiedenen anderen Geschichten, zum Beispiel einem historischen Zweiteiler für das ZDF. Da es beim Fernsehen manchmal Monate dauern kann, bis Entscheidungen gefällt werden, d.h. es bei einem Projekt weitergeht, muss man immer mehrere Bücher parallel schreiben.

Welche Erfahrungen nehmen Sie aus diesem Projekt für die Zukunft mit?

Nur gute. Weißensee ist eine Geschichte über Menschen, die zu erzählen mir ein Bedürfnis war (und ist). Ich konnte hierbei ungewöhnlich frei meine Figuren und Handlungen entwickeln, was nicht immer so ist. Die Charaktere haben ihre Widersprüche, sind böse und gut zugleich, was leider im Fernsehen - aus Furcht, das Publikum zu verstören – viel zu selten sein darf. Dazu kommt, dass ich mit der Umsetzung meiner Bücher sehr glücklich bin. Es ist nicht oft so, dass mein Film, den ich beim Schreiben vor Augen habe, dem realen Film so nahe kommt. ■

Castle - Interview mit Molly Quinn Konferenz der Tiere - Interview mit David Newman