Das Magazin - Interviews & Berichte
Chloe - Interview mit Atom Egoyan
Dienstag, 20.4.2010 | Autor: mz

Atom Egoyan wurde 1960 als Sohn armenischer Eltern in Kairo geboren und wuchs in Kanada auf. Mit 18 Jahren zog er nach Toronto, wo er Politik und Klassische Gitarre studierte, bevor er sich dem Film zuwandte. Gleich sein zweites Werk Familienbilder fand international besondere Beachtung, als Wim Wenders 1987 beim Montréal Festival of New Cinema den Jurypreis für Der Himmel über Berlin zurückwies und darum bat, lieber Egoyan auszuzeichnen.

Seinen bislang größten Erfolg feierte der renommierte Autorenfilmer 1997 mit Das süße Jenseits. Für das Drama erntete Egoyan zwei Oscar®-Nominierungen für Regie und Drehbuch. Der Film gewann u. a. allein drei Auszeichnungen in Cannes, darunter den Großen Preis der Jury, den Independent Spirit Award und wurde bein Toronto International Film Festival als bester kanadischer Film gewürdigt.

Während Egoyan seine Stoffe und Drehbücher fast ausschließlich selbst entwickelt, wie zuletzt für das Terrorismusdrama Simons Geheimnis, finden sich in seiner Filmographie doch zwei Ausnahmen: Bei Felicia, mein Engel (1999) und dem erotischen Thriller Wahre Lügen (2005) mit Colin Firth und Kevin Bacon adaptierte er Romanvorlagen.

Chloe ist das erste seiner bis dato 13 Filmprojekte, zu dem Egoyan nicht selbst das Drehbuch verfasst hat. Auch die Liebe zur klassischen Musik ist ihm erhalten geblieben. So war er als Regisseur an der Fernsehreihe Yo-Yo Ma inspired by Bach (1997) beteiligt. 2004 inszenierte er Richard Wagners „Die Walküre“ für die Canadian Opera Company und „Salome“ in Vancouver. 2003 war Atom Egoyan Jurypräsident der Berlinale. Seit 2006 lehrt er an der University of Toronto. 2007 widmete ihm das Centre Pompidou in Paris eine Retrospektive.

Was macht für Sie ein gutes Drehbuch aus?

Ein gutes Skript steckt voller Möglichkeiten und sollte nicht so leicht zu fassen sein, nicht ganz eindeutig. Es muss Raum für Entdeckungen bieten. Diese Möglichkeiten auszuloten, das ist das Aufregende, die Herausforderung daran. An dieser Geschichte fasziniert mich, abgesehen von den phänomenalen Schauspielern, dass sie in einer Stadt angesiedelt ist, die ich bestens kenne: Toronto spielt in dieser Story eine Hauptrolle.
Ich hatte die Möglichkeit, die besonderen Qualitäten dieser Stadt zu nutzen, wie es andere Filme, die hier gedreht werden, nicht tun. Gerade zu dieser Jahreszeit, wenn wir aus dem Winter auftauchen und allmählich den Frühling erahnen. Das ist visuell sehr spannend.

Allerdings haben Sie das Drehbuch diesmal ausnahmsweise nicht selbst geschrieben.

Nein. Aber als Ivan Reitman damit an mich herantrat, war ich bereits mit der Arbeit von Erin Cressida Wilson (Secretary) vertraut. Ich war immer ein großer Fan von ihr. Sobald ich ihr Skript gelesen hatte, war ich begeistert, denn das bedeutete endlich die Chance für uns, zusammen zu arbeiten. Wir hatten schon seit einiger Zeit darüber gesprochen.
Für mich ist es spannend, mit Dialogen umzugehen, die ganz anders sind, als ich sie schreiben würde. Und es ist eine Bereicherung, mit diesen außergewöhnlichen Schauspielern zu arbeiten, die das Ganze auf eine Weise zum Leben erwecken, die ich so nicht erwartet hatte. Obendrein kam das Projekt von Ivan, den ich sehr respektiere.

Welcher Ton schwebte Ihnen genau vor?

Wir wollten Toronto Sinnlichkeit verleihen. Es ist kalt, die Menschen streben nach drinnen, die romantische Vorstellung, dass sie Schutz vor einer brutalen Umgebung/Außenwelt finden, wo sie sich entblößt und ausgeliefert fühlen. Der visuelle Stil kreiert eine Atmosphäre von Schutz und Zuflucht. Also genau das, wonach die Figuren in ihren Beziehungen suchen.

Der Film wechselt zwischen verschiedenen Genres, vom Erotikfilm zum Drama.

Das Ungewöhnliche an der Erotik hier ist, dass sie im Drama verankert ist, in der Psychologie der Charaktere. Wenn man mit Darstellern dieses Kalibers arbeitet, müssen die erotischen Episoden innerhalb der Geschichte Sinn ergeben. Sie sind keinesfalls willkürlich. Man muss diesen Schauspielern etwas geben, das sie psychologisch erforschen können.

© Kinowelt

Wie passt Chloe in die Beziehung von Catherine und David? Geliebte oder Fantasiegestalt?

Mich fasziniert die Idee des Stellvertreters – Menschen, die etwas erfüllen können, zu dem du dich körperlich nicht in der Lage siehst, wegen all der Zwänge, Hemmungen und Ängste, die dich daran hindern, gewisse Dinge auszuprobieren. Darum geht es im Grunde in jedem Drama.
Catherine erschafft sich ihr eigenes Drama. Sie wirbt eine junge Frau an, die diese Rolle übernehmen soll, und die Möglichkeiten erregen sie. Es gestattet ihr, Dinge zu erforschen, die sie in ihrem vernunftgesteuerten Leben niemals tun könnte. Sie belebt die erotische Anziehungskraft zu ihrem Mann, von dem sie doch glaubt, dass sie ihn nicht mehr verführen kann, neu.
Man findet in Filmen nur sehr selten Frauen, die dieselbe Krise durchmachen wie so viele Menschen. Man glaubt, allmählich zu verschwinden, kein Objekt der Begierde mehr zu sein. Sie unterwandert das durch den Einsatz einer Stellvertreterin, aber sie muss erkennen, dass es Dinge gibt, die sich ihrer Kontrolle entziehen. Sogar ihre eigenen Impulse.

Wie haben Sie die Schauspieler ausgewählt?

Für den Part von Catherine bedarf es natürlich einer außergewöhnlichen Schauspielerin, und ich habe Julianne schon viele, viele Jahre bewundert. Ich hatte das Privileg, mit Liam am Theater zusammen arbeiten zu dürfen, und wir haben uns gut verstanden. Ich glaube, er wird die Zuschauer wirklich überraschen.
Beim Vorsprechen hat sich Amanda als Ausnahmetalent entpuppt, und das war sogar noch vor dem Riesenerfolg von Mamma Mia!. Chloe war wohl der letzte Film, für den sie vor Mamma Mia! besetzt wurde. Sie ist entwaffnend offen. Man glaubt diese Person zu durchschauen, aber da sind so viele unerwartete Emotionen, unvorhersehbar und spannend. Sie ist etwas ganz Besonderes.

Würden Sie Chloe als Ihren ersten Hollwood-Film bezeichnen?

Ja, denn Ivan Reitman und Tom Pollock zählen zu den wichtigsten Hollywoodproduzenten. Wir bauen alle darauf, dass dieser Film ein breiteres Publikum findet. Allein schon, weil das Skript geradliniger ist, als das bei meinen Filmen sonst der Fall ist. Dies ist eine andere Sprache. Chloe spricht mich an, weil dies ein Film ist, den ich selbst gern als Zuschauer sehen würde. Ich habe ihn nicht gemacht, weil ich etwas Bestimmtes damit ausdrücken möchte. ■

Interview mit Amanda Seyfried Königin Victoria