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Nichts zu verzollen - Hintergründe zum Film
Donnerstag, 28.7.2011 | Autor: mz | Quelle, Bilder: Prokino

Die Grenze im Kopf

Käsköppe, Piefkes, Sauerkraut-, Spaghetti-, Döner-, Fritten-, Froschfresser: Welches Land hat sie nicht, die wenig liebevoll gemeinten Namen für die Mitmenschen im angrenzenden Nachbarland? Sie alle stammen noch aus der Zeit, in der es europäische Binnengrenzkontrollen gab. Aber die Abschaffung derselben hat wohl kaum dazu geführt, dass sich jetzt alle Europäer nur noch lieb haben und die Vorzüge des jeweiligen Nachbarlandes preisen.

Vorurteile sind so alt wie die Menschheit selbst, ebenso wie das Bedürfnis, Bestätigung und ein Gefühl der persönlichen Aufwertung daraus zu ziehen, dass man den Nachbarn kräftig durch den Kakao zieht – wenn er gerade nicht hinhört. Besonders häufig dürften wenig charmante Sprüche über europäische Nachbarn auf deutschen Autobahnen fallen.

Schließlich wird Deutschland aufgrund seiner geografischen Lage besonders häufig von ausländischen Autofahrern durchquert, und wohl nirgends sind Ausländer so leicht zu identifizieren wie, anhand ihrer Nummernschilder, im Straßenverkehr. Gleichzeitig besitzen diese ausländischen Nachbarn die „Dreistigkeit“, „unsere“ Straßen zu „verstopfen“.

Während der brave deutsche Steuerzahler sich bei angespannter Verkehrs- und Nervenlage schon sicher ist, den Schuldigen für den letzten und auch den nächsten Stau gefunden zu haben, denkt er sich hinter dem Lenkrad kleine Gemeinheiten aus – zum Beispiel Holländerwitze wie diesen: „Was passiert mit Holländern, die zum zweiten Mal durch die Führerscheinprüfung gefallen sind? Sie bekommen ein gelbes Nummernschild!“

Auch wer sich für liberal, tolerant und weltoffen hält, dem kann es durchaus passieren, dass er seinem Ärger durch kleine Schmähreden oder Spitzen gegen andere Luft macht. Diese sind je nach Temperament und Frustlevel mal ernster und mal weniger ernst gemeint und führen nur in den seltensten Fällen auch zu Tätlichkeiten. Aber seien wir ehrlich: Wir alle kennen das.

Aus dem Wissen um diese menschliche Schwäche schlägt Dany Boon in Nichts zu verzollen auf seine unnachahmliche Art komisches Kapital. Sein Ruben Vandevoorde ist ein furchterregender Typ, ein Scheusal, ein brutaler und skrupelloser Verfolger all dessen, was ihm persönlich verdächtig erscheint.

Und doch ist er zugleich eine durch und durch lächerliche Gestalt, die sich mit jedem fremdenfeindlichen Spruch bis auf die Knochen blamiert und sich in ihrem Geifern gegen alles Französische ständig Blößen gibt – denn in der Übertreibung, in die Poelvoorde und Boon diese Figur treiben, wird umso deutlicher, dass dieses cholerische Rumpelstilzchen in tausend Ängsten schwebt.

Je cholerischer Ruben seine Wut offenbart, desto deutlicher entblößt er seine abgrundtiefe Unsicherheit, seine nackte Angst davor, dass er im Grunde tatsächlich das unbedeutende kleine Licht ist, das zu sein er im Kopf nicht aushält.

Der Gemütsmensch Mathias Ducatel, ein Alter Ego seines Erfinders, hat eine deutlich entspanntere Sicht auf die Dinge. Er nimmt sich selbst und andere nicht so ernst. Und weil das so ist, hat er etwas, was Ruben hundertprozentig abgeht: Humor und die Fähigkeit zur Selbstironie.

Mathias hat erkannt, dass hinter Rubens wütendem Gebaren vor allem eine verborgene Unsicherheit steckt, und nutzt diese Erkenntnis zu einer glänzenden Volte: Indem er Ruben erklärt, dass das naserümpfende arrogante Gehabe der Franzosen doch im Grunde nur Ausdruck einer geschickt kaschierten Bewunderung für die Belgier allgemein und ihn im Besonderen sei, nimmt er Ruben im Handstreich die Angst davor, kritischen Blicken nicht standzuhalten, und gibt ihm ein solches Übermaß an Bestätigung, dass er eigentlich fast daran ersticken müsste.

Ruben saugt die (falsche) Bestätigung auf wie ein Schwamm – und macht sich einmal mehr lächerlich, indem er den zuvor angeblich größten Feind spontan zu seinem Freund erklärt.

Auch wenn es hier vordergründig um einen für die Welt völlig belanglosen Konflikt in einem unbedeutenden französisch-belgischen Grenzort geht, gelingt es Dany Boon in Nichts zu verzollen, wie auch bereits im Vorgängerfilm Willkommen bei den Sch’tis, ein universelles Thema anzuschneiden.

Wir alle erkennen uns wieder in den Figuren dieses Films, weil wir die gleiche Schwäche teilen, egal ob wir Deutsche, Holländer, Franzosen, Österreicher, Italiener, Belgier oder welcher Nationalität auch immer sind. Wir erkennen uns und freuen uns darüber, herzhaft über uns lachen zu dürfen. Und vielleicht erleichtert es uns auch ein wenig, dass es anderen Nationen genauso geht wie uns, sodass wir uns bei aller Fremdheit und allen Vorurteilen doch auch wieder ein kleines bisschen mehr mit ihnen verbunden fühlen.

Und noch etwas: Die beginnenden 1990er Jahre sind zwar nicht das Jahr 50 v. Chr. und Courquain/Koorkin ist auch kein „von unbeugsamen Galliern bevölkertes Dorf“, aber ein wenig erinnern dieser kleine Weltausschnitt aus Nichts zu verzollen und insbesondere die kleine Schar von Zollbeamten, die sich gegen das Unvermeidliche, nämlich die Öffnung der Grenzen, stemmt, doch an die beliebten Gallier, die nicht aufhören „dem Eindring Widerstand“ zu leisten. Und gerade unser Wissen darüber, dass ihr Protest ebenso unsinnig wie vergeblich ist, lässt sie uns auch rührend erscheinen, egal wie verblendet, unbeholfen und dumm sie sich anstellen.

Dany Boon führt uns zurück in eine Zeit, die noch nicht lange vergangen ist und doch bereits ungeheuer weit weg erscheint. Wir wünschen sie uns zwar nicht unbedingt zurück, aber es stimmt uns doch ein wenig melancholisch, wenn wir beim Anschauen von Nichts zu verzollen an all jene Ferien erinnert werden, in denen wir neben Zahnbürste, Schwimmflossen, Pass und fremder Währung immer auch eine Extrastunde Zeit für den Stau an der Grenze im Gepäck hatten. ■

Interview mit Benoît Poelvoorde